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Prof. Dr. Katharina Hölzle
 

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Innovative Patienten

Vorweg

Die Studie “Innovative Patienten” des Hasso-Plattner-Instituts an der Universität Potsdam richtete sich im Zeitraum von Oktober 2019 bis Juli 2020 an Patienten mit seltenen Erkrankungen und deren Angehörige. Mit Hilfe von über einhundert Patientenorganisationen wurde der Fragebogen an mehr als 3000 Personen weitergeleitet. Insgesamt wurden 782 abgeschlossene Fragebögen erfasst. Die Daten zur Ideengenerierung und zum Innovationsverhalten wurden entsprechend den geltenden Regeln zur Datenaufbereitung untersucht und geprüft (siehe u.a. Aguinis et al. 2019). Die Aufbereitung der Daten hat ergeben, dass 700 Fragebögen zur weiteren statistischen Untersuchung verwendet werden konnten. Die generierten Daten teilen sich in beschreibende und beurteilende Daten. Bei den beschreibenden Daten handelt es sich um Fragen zum Alter, Geschlecht, Krankheit usw. Einige wenige haben vereinzelt keine Angaben zu diesen Fragen gemacht, weswegen nicht jede Frage wieder zu 700 aufsummiert, sich aber auf die Grundgesamtheit der 700 Fragebögen bezieht. Bei den beurteilenden Daten handelt es sich z.B. um Fragen zur Selbsteinschätzung. Im Zuge der Datenvorbereitung wurde ein zweiter Datensatz generiert, der nur die Personen enthält, die bereits eine eigene Idee entwickelt hatten oder eine Idee haben, die aber noch nicht final umgesetzt ist. Dieser Datensatz besteht aus 117 Personen. Die Stellen, die sich im folgenden Bericht auf diesen Datensatz der innovativen Personen beziehen, werden entsprechend kenntlich gemacht.

Die nachfolgenden Ergebnisse sind der erste Schritt zu weiteren statistischen Untersuchungen. Der Datensatz ist so reichhaltig, dass das bisher geplante Forschungs- und Auswertungsvorgehen erweitert werden konnte, was sehr erfreulich ist. Im Folgenden sind die beschreibenden Daten ausgewertet und grafisch aufbereitet. Die beurteilenden Daten wurden ebenfalls integriert. Allerdings wurden noch nicht alle hypothesenbasierten Tests, mit welchen sich die Beziehungen zwischen den Daten auswerten lassen, abgeschlossen. Mit diesen Verfahren (Varianz- und Regressionsanalysen) lassen sich die Beziehungen zwischen den Daten auswerten. Entsprechende Updates werden an dieser Stelle eingefügt und Gegenstand der Dissertationsschrift zu diesem Projekt sein.


Ergebnisse

2 Euromünzen hintereinander, die vordere ist in den Spendenanteil mit dem jeweiligen Namen der Organisation unterteilt.

Spenden

Im Anschluss an die Befragung konnten die Teilnehmenden wählen, an welche Organisation Geld gespendet werden sollte. Dabei wählten 687 von 700 Personen aus den drei Organisationen ACHSE e.V.ELHKS e.V. und Kindness-for-Kids e.V.. Die ACHSE e.V. erhält demnach 622€, die ELHKS e.V. 316€ und an Kindness for Kids e.V. gehen 436€. Ich bedanke mich nochmals sehr herzlich für die Teilnahme!


Das Bild zeigt die beiden Icons für männlich und weiblich, die über den Kreis, den beide gemeinsam haben verbunden sind. In der oberen rechten Ecke geht der Pfeil für das Symbol für männlich ab. Dort ist der Kreis im Sinne eines Tortendiagramms blau eingefärbt und daneben steht 167 männlich. Im gleichen Stil ist der überwiegende Rest des Kreises rosa eingefärbt und mit 532 weiblich beschrieben. Im Zwischenraum der beiden Farbbereiche ist ein lilafarbener Strich mit 1 divers bezeichnet.

Geschlecht

Die Teilnehmenden sind zu mehr als drei Vierteln weiblich (76%) und zu weniger als einem Viertel männlich (23,9%) oder divers (0,1%). Mehr als drei Viertel der Teilnehmenden sind ebenfalls selbst betroffen. Daher kann ausgeschlossen werden, dass eine Geschlechterverzerrung durch geschlechtsspezifische Ansprache oder Krankheiten vorliegt. Das Ergebnis der Studie, dass eine mehrheitlich weibliche Stichprobe umfasst, leistet einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um Innovatoren, da die bisherigen Stichproben häufiger mehrheitlich männlich waren.


Icon einer älteren Frau, die ein jüngeres Kind an der Hand hält. Darunter ein Zeitpfeil von links nach rechts mit einer Tabelle zur Verteilung des Alters der Teilnehmer.

Alter

Die Personen, die an der Studie teilnahmen, waren überwiegend ältere Erwachsene zwischen 30 und 60 Jahren.


Das Bild zeigt symbolhaft einen schwarzen Doktorhut und daneben eine gerollte Urkunde mit Band. Darum befindet sich ein Tortendiagramm, dass die Bildungsabschlüsse der Teilnehmer in absoluten Zahlen aufzeigt.

Bildung

Die Ergebnisse zeigen, dass alle Bildungsabschlüsse unter den Teilnehmenden vertreten sind. Insgesamt überwiegen akademische Bildungsabschlüsse. In der aktuellen Diskussion um den Zusammenhang zwischen Bildung und Innovationsverhalten wird ein höherer Bildungsabschluss mit Innovationsverhalten in Zusammenhang gebracht (Oliveira et al., 2015).
Die Bildungsabschlüsse verteilten sich wie folgt.

Schüler*in 2, Hauptschule/Volksschule 29,Realschule/Mittlere Reife 78, Fachhochschulreife 48, Abitur 56, Ausbildung 161, Fachhochschulabschluss 99, Hochschulabschluss 207, Promotion 9, Kein Abschluss 8, Andere 3.


Das Bild zeigt symbolhaft eine größere Familie, die mehrere Generationen umfasst – von den Großeltern bis zu Kleinkindern. In der Bildunterschrift steht: In der Selbsthilfe sind 512 organisiert und eine Sprechblase an einem der Menschen ergänzt: 332 würden dies auch weiter empfehlen.

Selbsthifeorganisation

Selbsthilfeorganisationen sind generell ein wichtiger Pfeiler im Gesundheitswesen und bei Seltenen Erkrankungen im Besonderen. Die Organisationen sind für Patienten, deren Angehörige und Belange wichtige Informations- und Kommunikationsplattformen. Sie bündeln Wissen, ermöglichen Austausch unter Betroffenen, informieren und fördern u.a. Forschung zur entsprechenden Krankheit. Zudem sind sie häufig auch politisch in entsprechenden Gremien aktiv. Von den Teilnehmenden der Studie waren 512 Personen in einer Selbsthilfeorganisation organisiert. Deutlich mehr als die Hälfte, nämlich 332 von ihnen würden dies auch anderen weiterempfehlen.


Icon, dass eine Hand zeigt, die ein Smartphone hält. Aus dem Bildschirm gehen drei Sprechblasen ab. Eine enthält ein Herzchen, eine einen Daumen hoch, das Dritte eine angedeutete Textzeile.  Die Bildbeschreibung lautet: 142 nutzten einen eigenen Social Media Kanal, um sich über ihre Krankheit zu informieren. 308 nutzten ein Internetforum, um sich auszutauschen.

Social Media

Das Internet und Social Media sind auch für Patienten und deren Angehörige wichtige Medien, um sich auszutauschen. 142 Personen gaben an, eigene Social Media Kanäle zu haben, die zur Information über die Krankheit dienten. 308 Personen gaben an ein Internetforum zu nutzen, um sich auszutauschen.


 Icon für eine männliche Person. An Kopf, Hüfte und Oberschenkel gehen jeweils Striche ab, die in Textbeschreibungen münden. Am Kopf: 191 Krankheitsbilder. An der Hüfte: 402 Personen mit zusätzlichen Sekundärkrankheiten. Am Oberschenkel: Tuberöse Sklerose 99, Angelman-Syndrom – 46, Pulmonale Hypertonie – 37

Seltene Krankheiten

Die seltenen Erkrankungen umfassen derzeit ca. 7000 – 8000 bekannte Krankheiten. Aus den Angaben der Teilnehmenden konnten 191 Krankheitsbilder identifiziert werden. 402 Personen gaben an zusätzlich Sekundärkrankheiten zu haben. Die am häufigsten vertretenen Krankheiten waren Tuberöse Sklerose (102), das Angelman-Syndrom (46) und Pulmonale Hypertonie (67).

Damit bildet die Studie die Innovationstätigkeit nicht für eine oder einige seltene Erkrankungen, sondern eine Bandbreite ab. Das ist sehr erfreulich, denn obwohl jede Krankheit für sich hoch individuell ist, gibt es neben der Seltenheit verschiedene Aspekte, die alle gleichermaßen betreffen. Alle Patienten und deren Angehörige befinden sich in einer nicht selbst gewählten Situation, in dem Sinne, dass niemand entschieden hat von einer seltenen Erkrankung betroffen zu sein. In den Sozialwissenschaften wird dies als Major Life Event (MLE) bezeichnet. Es handelt sich hierbei um ein einschneidendes Ereignis, welches zufällig, nicht selbstgewählt und in der Mehrheit der Fälle mit negativen Einschnitten z.B. in die Lebensqualität verbunden ist.

In der wissenschaftlichen Diskussion gehen Major Life Events auf eine Liste von 43 Lebensereignissen der Wissenschaftler Holmes & Rahe aus dem Jahr 1967 zurück. Diese wollten damit eine Liste von grundlegend bedeutsamen Ereignissen schaffen (positiv wie negativ), die auf Analysen von Patientenakten beruhten und sich häufig als Vorläufer von Krankheiten herausstellten. Als Major Life Events werden solche Ereignisse definiert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Neuanpassung des eigenen Lebens führen, d.h. Veränderungen der gewohnten Aktivitäten der Menschen erfordern (Holmes & Rahe, 1967, Dohrenwend, 2006).

Dies ist mit Hinblick auf die Innovationstätigkeit relevant, da man bisher annahm, dass Innovatoren freiwillig und mit „Lust an der Sache“ agierten. Zudem werden negative Situationen nicht generell mit Innovationstätigkeit in Verbindung gebracht, sondern eher als innovationshinderlich empfunden. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass jede 6. Person aus der Studie innovativ tätig war oder derzeit an einer Idee arbeitet.

Eine zugrundeliegende Annahme der Studie ist, dass nicht die äußeren Umstände allein innovationsbegünstigend sind, sondern eine Verkettung von Ereignissen, subjektiver Situationsbewertungen und Eigenschaften der Person für das Innovationsverhalten ausschlaggebend sind.


Drei Personengruppen. Die erste zeigt einen Mann, der seinen Arm um eine Frau legt. Die zweite Gruppe zeigt eine klassische Familie mit Mutter, Vater und zwei Kindern. Die letzte Gruppe zeigt einen Mann, der seinen Arm um eine Frau legt und eine ältere Frau an der Hand hält.

Wer ist betroffen?

Einzelpersonen

Seltene Erkrankungen betreffen häufig nicht nur den Patienten, sondern auch die Familie und Angehörige. Dies erklärt sich daraus, dass der Mehrheit der seltenen Erkrankungen Gendefekte zu Grunde liegen und diese bereits ab Geburt/Kindesalter bestehen. Dies wird auch durch die Frage nach dem Einsetzen der Symptome in dieser Studie unterstützt, in der mehr als die Hälfte bereits ab oder kurz nach der Geburt mit Symptomen konfrontiert waren. Zudem können bei verschiedenen Krankheiten familiäre Häufungen vorliegen.

Mehr als die Hälfte der Personen in der Studie (381) sind selbst betroffen, davon waren 279 Frauen, 101 Männer und eine Person divers. In 226 weiteren Fällen waren die eigenen Kinder betroffen, davon beantworteten 183 Mütter und 43 Väter den Fragebogen. In weiteren 22 Fällen waren ältere Verwandte wie z.B. eigene Eltern, Geschwister oder auch Ehe/Partner) betroffen.


Das Bild zeigt vier Personengruppen. Die erste Gruppe zeigt einen Vater, der sein Kind auf den Schultern trägt. Die zweite Gruppe ist ein Mann, der eine ältere Frau an der Hand hält. Die Dritte Gruppe zeigt eine Familie in der der Vater der Mutter einen Arm um die Schulter legt und die Mutter ein Baby im Arm hält. Die vierte Gruppe zeigt eine ältere Frau, die ein Mädchen an der Hand hält.

Wer ist noch betroffen?

Familiäre Häufungen

Es gab allerdings auch insgesamt 69 Fälle in denen eine Häufung vorlag. Dabei muss es sich nicht um dieselbe Seltene Krankheit handeln. In 20 Fällen waren die teilnehmende Person sowohl selbst, als auch deren Kind*er betroffen, in 29 Fällen lag eine eigene Betroffenheit und die eines näheren Verwandten (eigene Eltern, Geschwister, Ehe/Partner) vor. In 13 Fällen lag eine eigene Betroffenheit und zusätzlich eine Erkrankung des eigenen Kindes und eines näheren Verwandten vor. In weiteren 7 Fällen waren sowohl die eigenen Kinder, als auch nähere Verwandtschaft betroffen.


In der Mitte ist ein Icon für eine reduzierte Uhr abgebildet. Zwei runde Pfeile umschließen die Uhr im Uhrzeigersinn. Diese werden von einem Ringdiagramm eingerahmt, dass die Kategorien für das Auftreten der Symptome und deren Verteilung in der Studie wiedergibt.

Symptome

Der Mehrheit der seltenen Erkrankungen liegt häufig ein Gendefekt zugrunde, was zur Folge hat, dass Symptome bereits bei Geburt oder im ersten Lebensjahr auftreten. Die Ergebnisse der Frage nach dem Zeitpunkt, zu welchem die Symptome zuerst auftraten, bilden dies ebenfalls ab. Zudem werden manche Krankheiten erst mit höherem Alter in Verbindung gebracht, was die Häufung von Symptomatiken in der Altersklasse von 36-65 Jahren erklären würde. Aus den Angaben zu „Wer ist betroffen“ lässt sich ablesen, dass 288 Eltern an der Studie teilgenommen haben (Angabe, dass das eigene Kind betroffen ist). Das bedeutet, dass in dieser Studie vor allem Eltern (im engeren Sinne Mütter) innovativ tätig wurden und die Annahme liegt nahe, dass sie vor allem für die Verbesserung der Lebensqualität ihrer Kinder nach neuen Lösungen suchen und diese umsetzen.


Icon für ein Kalenderblatt, dass das Balkendiagramm für die Darstellung der Diagnosestellung abbildet. Daneben ist ein Häkchen in einem grün gefüllten Kreis abgebildet, das die Sicherung der Diagnose (im Gegensatz zum Eintreten von Symptomen) darstellt.

Diagnose

Im Gegensatz zu den häufigen Erkrankungen ist das Auftreten von Symptomen und die Stellung einer Diagnose bei seltenen Erkrankungen in der Regel durch einen zeitlichen Verzug gekennzeichnet. Dieser kann von 5 bis zu 30 Jahren lang sein, ergab eine EURORDIS Studie unter acht der häufigeren seltenen Erkrankungen.

In dieser Studie war es deshalb von Interesse zu wissen, wie weit die Diagnose vom heutigen Zeitpunkt aus gesehen für jede Person zurückliegt und damit eine Einschätzung, wie lange die Person nicht nur mit Symptomen (siehe vorherige Frage), sondern auch mit einer Diagnose lebt. Dies ist von Bedeutung, da eine Diagnose häufig einen Orientierungs- und Erklärungspunkt im Gegensatz zum reinen (unerklärten) Vorliegen von Symptomen darstellt. Es ist der Person damit möglich, gezielt nach Informationen zu verschiedenen Aspekten (Ursachen, Auswirkung, Symptomatik und Behandlung usw.) zu suchen und auch Expertise zu erwerben. Dies ist im Hinblick auf die Entwicklung von Ideen und Lösungen ein relevantes Verhalten. In dieser Studie leben 48% weniger als 10 Jahre mit einer Diagnose, ca. 25% zwischen 11-20 Jahren und weitere 26% länger als 20 Jahre.


Das Bild zeigt symbolhaft das Icon eines Herzens mit einem vertikalen Riss in der Mitte. Auf diesem klebt ein Pflaster. Das Bild symbolisiert die beiden Aspekte der Situationsbewertung. Der Riss verkörpert die Veränderungsbedürftigkeit, das Pflaster die Veränderungsfähigkeit.

Situationsbewertung

Die folgenden Aussagen beziehen sich auf kombinierte und komplexe bewertende Aspekte des Fragebogens. Diese Aussagen können nur für die Teilgruppe der Innovatoren getroffen werden und beziehen sich auf die Grundgesamtheit von 117 Personen.

In den Sozialwissenschaften wird das Auftreten eines Verhaltens mit der individuellen Bewertung der eigenen Situation begründet. Dabei wurzelt die Bewertung in der individuellen Wahrnehmung, die für die objektiv gleiche Situation subjektiv unterschiedlich ausfallen kann. Das bedeutet, dass zwei Personen die gleiche Situation unterschiedlich bewerten, wie z.B. das vielzitierte halb volle, bzw. halb leere Glas, welches wiederum verschiedene Verhalten zur Folge haben können (das halb volle Glas wird nicht weiter nachgefüllt, denn es ist noch halb voll, während das halb leere nachgefüllt wird, denn es ist ja bereits zur Hälfte leer).

Im Falle des Innovationsverhaltens wird ein zweistufiger Bewertungsprozess zugrunde gelegt, der sich untereinander bedingt. In der ersten Stufe wird die Veränderungsbedürftigkeit einer Situation bewertet. Gibt es an der aktuellen Situation wahrgenommene Defizite, die einer Verbesserung bedürfen. Es wird angenommen, dass die Wahrnehmung auch mit verschiedenen Innovationstypen zusammenhängt. Je innovationsaffiner eine Person ist, desto eher wird sie die Veränderungsbedürftigkeit der Situation wahrnehmen.

Nur wenn die Wahrnehmung als hoch empfunden wird, folgt die zweite Stufe der Situationsbewertung in Form einer Prüfung der Veränderungsfähigkeit der Situation und inwiefern die Person, welche die Bewertung vornimmt, diese besitzt. Es wird angenommen, dass diese Selbsteinschätzung im Zusammenhang mit den Selbstüberzeugungen einer Person steht, d.h. was man als Person zu tun vermag.

Für die systematisch von Unterversorgung betroffenen seltenen Erkrankungen ist anzunehmen, dass die Veränderungsbedürftigkeit generell hoch eingeschätzt wird (der Durchschnittswert lag mit 3,9 bei „eher zustimmend“ und entspricht im Wert der Variablen aus den Konstrukten zur Innovationstypenbestimmung). Die Veränderungsfähigkeit schätzten die Innovatoren bei der direkten Frage mit 3,4 weder sehr hoch noch sehr niedrig ein. Diese Größe hängt aber noch von der eigenen Überzeugung etwas ausrichten zu können ab. In den Sozialwissenschaften wird dafür z.B. die Kernselbstüberzeugung (Core-self Evaluation, Judge et al, 1997, Stumpp et al. 2010, Chiang et al, 2013) herangezogen. Je höher diese Überzeugung ist, desto eher wird ein innovationsförderliches Verhalten, z.B. in Form von Informationssuche, Ideenentwicklung etc. ergriffen.  Dieser Wert war mit einem Wert von 4 bei den Innovatoren deutlich ausgeprägt.

 

In einer weiterführenden statistischen Auswertung wird hier hypothesenbasiert geprüft, wie belastbar diese Annahmen sind. Die Ergebnisse werden hier regelmäßig überarbeitet.


Quadranten Kreuz, dass vier Bereiche bildet, die vier unterschiedlichen Innovatorentypen entsprechen. Kleine Icons für Menschen zeigen bestimmte Ausprägungen an. Die Shirtfarbe (rosa, blau, lila) zeigen an, ob es sich um weibliche, männliche oder diverse Personen handelt. Ein kleines Icon einer Glühbirne zeigt an, ob diese Person bereits ein konkretes Innovationsprojekt durchgeführt hat oder im Begriff ist eines zu verwirklichen.

Innovatorentypen

Mittels einer Clusteranalyse wurde die gesamte Stichprobe hinsichtlich vier in der Theorie existierenden Innovationstypen ausgewertet (Hienerth & Lettl, 2019). Diese werden nach den Kategorien „Trend Leadership“ (u.a. wie informiert und auf dem Laufenden sind diese Personen bezogen auf ihre Krankheit) und „Expected Benefit“ (u.a. wie unzufrieden sind sie mit dem aktuellen Angebot bezogen auf ihre Krankheit) eingeteilt. Daraus bilden sich die die vier Typen:

  • Reguläre Nutzer (Regular User) (ist weder besonders informiert noch besonders unzufrieden)
  • Experten Nutzer (Expert User) (ist besonders gut informiert, aber nicht so unzufrieden, dass sie/er selber innovieren würde. Ihn zeichnet vor allem durch ein hohes Fachwissen aus.)
  • User Innovator (ist nicht unbedingt exzellent informiert, aber mit dem aktuellen Angebot so unzufrieden, dass sie/er für den Eigengebrauch Ideen entwickelt und umsetzt)
  • Lead User (exzellent informiert und auf dem Laufenden bei gleichzeitiger hoher Unzufriedenheit mit dem bestehenden Angebot führt zu aktivem Innovationsverhalten und häufig der Kollaboration und Verbreitung der eigenen Lösung an andere).

Die Personen der Gesamtstichprobe verteilen sich bei der Clusterung wie folgt: 248 Personen zeigen Lead User Eigenschaften, 176 Personen zeigen User Innovator Eigenschaften und 107 wiesen Experten Nutzer Eigenschaften auf. 169 gehören dem Cluster reguläre Nutzer (Regular User) an. Insgesamt weist die Stichprobe damit auf eine hohes Innovationspotenzial hin. Von den 700 Personen hatten 115 bereits eine eigene Idee, während 585 aktuell kein konkretes Projekt verfolgen. Nur 228 können sich überhaupt nicht vorstellen eine Idee zu entwickeln und umzusetzen.

Von den Innovatoren (115 Personen) dieses Datensatzes haben 98 bereits eine Idee umgesetzt, wohingegen 17 derzeit an einer eigenen Idee arbeiten.

Betrachtet man die Cluster einzeln so ergeben sich für diese Stichprobe einige Besonderheiten. Die regulären Nutzer setzen sich aus 141 Frauen und 46 Männern zusammen. Von diesen haben – entgegen der Charakterisierung bereits 10 eine Idee umgesetzt und zwei arbeiten derzeit an einer Idee. Betrachtet man das Cluster genauer, so haben auch reguläre Patienten eine höhere Nutzenerwartung und identifizieren ggf. über ihren empfundenen Bedarf Gelegenheiten Ideen zu entwickeln.
Die Experten Nutzer teilen sich in 64 Frauen und 25 Männer auf. Davon haben bereits 8 eine Idee entwickelt.

Die Nutzer Innovator*innen unterteilen sich in 143 Frauen und 33 Männer. 32 haben bereits eine Idee (6 Frauen/26 Männer), 6 (1 Frau/5 Männer) arbeiten derzeit an einer eigenen Idee.

Am deutlichsten ist die Ideenentwicklung bei den Lead Usern (184 Frauen, 59 Männer, 1 diverse Person) ausgeprägt. 47 (33 Frauen, 14 Männer, 1 diverse Person) Personen haben bereits eine Idee umgesetzt und 8 (4 Frauen und 4 Männer) arbeiten derzeit an einer eigenen Idee.

Wie zu erwarten ist die Ideenentwicklung bei den Lead Usern und User Innovatoren um das 4,5-fache höher als bei regulären Usern oder Experten Nutzern.

 

Legende für das Cluster:

Die 700 Teilnehmer wurden entsprechend ihres Innovationstypen gruppiert. Die Shirtfarbe gibt Auskunft über die Verteilung der Geschlechter. Für die Verteilung der Innovatoren werden entsprechende Glühbirnen den entsprechenden Personen zugeteilt. Die dunkelgelben Glühbirnen stehen dabei für bereits umgesetzte Ideen, die helleren für Ideen, die sich in der Entwicklung befinden.


Gekreuzter Schraubenzieher und Schraubenschlüssel.

Innovationsverhalten

Das Innovationsverhalten ist ein aus verschiedenen Verhalten kombiniertes Konstrukt. Dieses umfasst Ideengenerierung, Ideensuche, Ideenkommunikation, Ideenimplementierung, Einbezug anderer, Überwinden von Hindernissen und Innovationserfolg (Lukes & Stephen, 2019). Davon werden die ersten sechs Aspekte in der Studie betrachtet.

Betrachtet man die Stichprobe der Innovatoren enthält diese für sich allein 117 Personen. Die Ungleichheit mit der Anzahl der Innovatoren in der Gesamtstichprobe hängt damit zusammen, dass die Aufteilung der Gesamtstichprobe nach der Prüfung auf Vollständigkeit erfolgte. Alle weiteren Analyseschritte wurden an den getrennten Stichproben durchgeführt.

Die 117 Innovator*innen setzen sich aus 40 Lead Usern, 27 Nutzer Innovatoren, 12 Experten Nutzern und 38 regulären Nutzern zusammen. Damit ist die Gruppe der innovationsaffinen Personen doppelt so groß, wie die der regulären Nutzer (79 zu 38). Das Innovationsverhalten unterscheidet sich unter den Clustern. Der Lead User weist den höchsten Wert für Innovationsverhalten auf (4,0), gefolgt vom User Innovator und dem Experten Nutzer mit ähnlichen Werten um 3,9. Dann folgt der reguläre Nutzer mit 3,5. Betrachtet man die einzelnen Verhaltensaspekte dann unterscheiden die vier Typen sich signifikant beim Verhalten Ideengenerierung (p=.040, η2=.070), Einbezug anderer (p=.035, η2=.073) und Überwinden von Hindernissen (p=.022, η2=.081).


Häkchen in Kreis

Quality of Life

Die Lebensqualitätsmessung ist in medizinischen Studien bereits fester Bestandteil und bildet einen eigenen Forschungsstrang. In der Verwendung als Erfolgsmessung in der Innovationsforschung ist sie bisher weitestgehend unbekannt. Lediglich eine Studie aus dem Bereich der User Innovation, die sich ebenfalls mit Patienten befasste (Oliveira et al., 2015) fragte nach der Auswirkung der Ideenentwicklung auf die Lebensqualität.
Die aktuelle Studie knüpft dort an, um die Lebensqualitätsmessung im Zusammenhang mit Patienten betreffenden Innovationen zu etablieren. Daher enthielt die Studie weiterführende Fragen zu unterschiedlichen Aspekten der Lebensqualität im Zusammenhang mit der Auswirkung der entwickelten Idee. 

Diese lehnen sich an eine bestehende globale Skala zur Messung des Wohlbefindens in ökonomischen Kontexten an. Die Messungen sind konzeptionell auf den Ansatz von Amartya Sen zurückzuführen, der Wohlbefinden im Sinne der Fähigkeit eines Individuums definiert, die Dinge zu "tun" und "zu sein", die ihm/r Leben wichtig sind. (ICE-CAP)

Insgesamt werteten die Innovatoren die Verbesserung ihrer Lebensqualität durch ihre Idee nur mit 2,0 als niedrig ein. Betrachtet man die Unterkategorien zu den Themen Sicherheit, Soziales, Unabhängigkeit, Leistung und Freude, so schneidet letztere mit 3,8 am höchsten ab, während Sicherheit mit 3,2 am niedrigsten bewertet wird. 
Eine Empfehlung Quality of Life als Erfolgsmaßstab mit in den Diskurs und in zukünftige Forschung mit einzubeziehen wird auf dieser Basis als notwendig und empfehlenswert gesehen.

Die Verbindung von Innovationsverhalten und Lebensqualität wird in den hypothesenbasierten Test weiterführend analysiert.


Auf der linken Seite Icons für ein Zahnrad, ein Herz und ein Häkchen, die durch einen gemeinsamen Pfeil auf ein Siegel verbunden werden.

Erfolg der eigenen Idee

Der Erfolg von Innovationsprojekten wird in der Regel in drei Kategorien abgebildet (1. Lernzuwachs, 2. Zufriedenheit in Bezug auf die Erwartungen/Befürchtungen, 3. Effizienz-/Effektivitätssteigerungen). Zudem wurde nach einer Gesamteinschätzung des Erfolgs gefragt. Im Durchschnitt waren die Innovator*innen der Studie mit dem Ergebnis eher zufrieden (3,9). Bezogen auf die Kategorie Effizienz/Effektivität, Lernzuwachs und hinsichtlich der Erwartungen/Hoffnungen waren die Werte ebenfalls mit „eher zufrieden“ eingestuft (3,9-4,1). Es lässt sich vermuten, dass die Lösungen in dem zu erwartenden Rahmen funktionieren und so umgesetzt wurden, dass sie das vorgesehene Problem lösen. Bildet man den Durchschnitt über das Gesamtkonstrukt „Innovationserfolg“ liegt dieser ebenfalls bei „eher zufrieden“ (4,0).
In Bezug auf die einzelnen Innovatorentypen ist die Erfolgswahrnehmung signifikant unterschiedlich (p=.03, η2=.073). Lead User nehmen diese deutlich stärker wahr, als Experten, User Innovatoren und reguläre Patienten.