Hasso-Plattner-Institut
 
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Fragt man nach den Ursachen dieser Fehlentwicklung, so stößt man auf folgende 3 Hauptpunk

  1. Zu lange einseitig auf OSI ausgerichtete BMFT- Förderungs- und Industriepolitik (-94) und damit einhergehend eine jahrelange Bekämpfung der TCP/IP-Welt seitens des BMFT/DFN- Vereins (-90)
  2. Zu späte Realisierung von (IP-) Hochgeschwindigkeitsnetzen (-96)
  3. Zu hohe Telekom- Gebühren (-97)


Fangen wir mit dem zuletzt genannten Punkt an:

3). Hohe Telekom-Gebühren:
die allgemein bekannten im internationalen Vergleich hohen Telekommunikationsgebühren in Deutschland hatten die bereits benannte gravierende Auswirkung, daß sich innerhalb Europas die bedeutenden Netzzentren und damit die Kristallisationspunkte von Know How, Spin Offs, und einer weitverzweigten Technologielandschaft nicht in Deutschland, sondern in England, Skandinavien, Holland, der Schweiz, sowie später auch in Österreich und Frankreich ansiedelten.

Die Bundespost verfolgte dabei eine sprachorientierte Tarifpolitik, mit der sie die Entwicklung der Datenkommunikation praktisch "erwürgte". Ihre große Sorge dabei war stets, daß jemand die großen für die Rechnerkommunikation benötigten Bandbreiten mit Hilfe von Multiplexern in viele schmalbandige Kanäle aufteilen würde, um diese billig an Sprachkunden weiterzuverkaufen.

Dahinter stand das technische Langfristkonzept der Post, im Rahmen des künftigen ISDN(Integrated Services Digital Network) vermittelte Breitbanddienste von 2/34/140/565 Mbit/s durch Skalierung aus dem 64 kbit/s-Fernsprechdienstes weiterzuentwickeln, -mit entsprechend hoher Dienstgüte und entsprechend hohem technischen Aufwand, was wiederum hohe Tarife bedingt.

Es war zu der damaligen Zeit für einen Telekommunikationsingenieur unvorstellbar, daß jemand herkommen könnte mit einem Router unter dem Arm, einem verbindungslosen unzuverlässigen IP- Protokoll darauf, womit er in der Lage sein würde, ohne jeglichen Quality of Service große Datenmengen weltweit preiswert durch die Gegend zu schicken. Und wenn einmal ein Puffer überlaufen sollte, was leicht passieren kann, die Pakete einfach wegwirft. Die darüberliegende Schicht (TCP) würde es dann schon richten.

Wie groß die Preisunterschiede dabei zwischen Sprache und Daten derzeit noch sind, kann man leicht daran ablesen, daß das Telefonieren in die USA 1.44 DM/Minute kostet, nach Fernost 2.40 bis 2.80 DM/Minute, während eine Verbindung über das Internet- weltweit nur mit 0.05 DM/Minute, zu Buche schlägt, allerdings zzgl. lokalen Zugangsgebühren. Unterschiede um den Faktor 30 bis 50 und mehr. Was dies für die Telefonbranche bedeutet, wenn dereinst mal das Internetphone gut funktionieren sollte, kann man sich ausmalen. Denn es geht allein in Deutschland um jährlich derzeit 50 Mrd. DM Telefongebühren.

Das Thema Hochpreispolitik führt zum 2. Punkt:

II). Hochgeschwindigkeitsnetze: Während der von der National Science Foundation 1986 geförderte NSFNet-Backbone in den USA zunächst mit 56 kbit/s startete, 1988 auf T1-(1.544 Mbit/s) und 1991 auf T3- Geschwindigkeit (44.763 Mbit/s) aufgerüstet wurde, wartete man hierzulande geduldig auf das Breitband- ISDN (2/34/140M). Im Wissenschaftsbereich behalf man sich zunächst mit mageren und teuren öffentlichen 1.2/9.6 kbps – Datex- P Diensten und dem von der IBM ab 1984 freundlicherweise gesponserten 9.6k proprietären EARN- Standleitungsnetz. Dabei lagen bereits seit Mitte der 80er Jahre hochwertige LWL-Trassen im Boden, die auch von der Post als VBNs- Vorläuferbreitbandnetze ausgesuchten Pilotkunden zu besonders günstigen Konditionen - z.T. sogar kostenlos- zur Verfügung gestellt wurden.

Zu den Glücklichen zählte damals das Land Baden-Württemberg, welches prompt das machte, was naheliegend war: nämlich auf die nackte Leitung, mit dem obskuren Begriff "Black Fiber" belegt(als ob auf der anderen Seite kein Licht mehr herauskommen würde) Ethernet- bzw. FDDI- Brücken zu setzen, womit man quer durchs Ländle und sogar bis nach Kaiserslautern 10 bzw. 100 Mbit/s vollduplex fahren konnte. Bei der feierlichen Inbetriebnahme des BelWue -des Baden- Württembergischen Hochschulnetzes- am 23. Feb. 1987 konnten sich Lothar Späth und Dr. Christian Schwarz- Schilling über die 8o km Entfernung zwischen Stuttgart und Karlsruhe hinweg mit hoher Auflösung ins Gesicht gucken. Im Mai 1989 legte man dann IP darauf und hatte damit das damals weltweit mit großen Abstand schnellste IP- Netz.

Was passierte in der übrigen BRD: nachdem man im DFN- Verein nach Jahren zu der Überzeugung gelangt war, daß man statt Datex- P doch besser ein Netz mit pauschalen kalkulierbaren Kosten für die Universitäten haben sollte, wurde 1990 mit aufwendiger X.25- Technik das Wissenschaftsnetz WIN aufgebaut, ein privates Netz mit 9.6 und 64 kbps- Anschlüssen, welches man vorsichtshalber gleich für die Dauer von 10 Jahren anmietete.

Als das Netz mit einer garantierten Maximalkapazität von 50 GBytes/Monat im Juni 1990 in Betrieb ging, hatten die Universitäten nichts Eiligeres zu tun, als sich sofort (Cisco-) Router zu beschaffen, um damit ein IP-Netz über das X.25- WIN zu legen, mit dem Effekt, daß bereits nach 3 Monaten das Netz "am Anschlag" war, ein Zustand, der trotz Aufrüstung auf 2M Mitte 92 mit kurzen Unterbrechungen bis ins Jahr 1996 andauern sollte. Die aus der permanenten Überlast resultierende schlechte Performance hatte gravierendste Auswirkungen für den gesamten Wissenschaftsbereich! Kommentare, die insbesondere die internationale Anbindung betrafen, wie

    "es ist grauenhaft"

    "normalerweise müßten wir noch Geld bekommen"

charakterisieren die damalige Stimmung an der Basis.

Wirkliche Breitbandkommunikation mit 34 Mbit aufwärts gibt dank der Rüttgers- Millionen erst seit März 96, wobei die sinnvollen Breitbandapplikationen sich (eigentlich) jetzt erst entwickeln können, 9 Jahre, nachdem die Ministerpräsidenten für die Schaffung schneller Hochschulnetze plädiert hatten, 9 Jahre, nachdem BelWue demonstriert hat, wie man es machen kann.

Schaut man nämlich mal ins B- WIN von der Auslastungsseite herein, so trifft man auf 2 - 3% Auslastung, bei den 155 M- Anschlüssen sogar z.T. auf noch viel weniger.Und schon wird der Ruf nach 622M und Gigabit- Raten erhoben.


Wie sagte Nicholas Negroponte vom MIT Media Lab:

    "In 1 Internet- Jahr passiert soviel wie woanders in 7 Jahren"

7 x 9= 63 verlorene Jahre, ein unendlicher Zeitverlust. Mittlerweile starteten die USA im Rahmen des "Internet 2"-Projektes bereits eine 2.4 Gbit/s- Initiative.

Der Forschungsminister hat am 18.04.97 die 155 M damit veranschaulicht, daß man darüber 2 Mrd. DIN A 4 Seiten im Monat von A nach B übertragen könne. Richtig. Aber wenn ich mich selbst mit meinem langsamen Lesetempo von nur 1000 Seiten pro Stunde hernehme und Tag und Nacht lese, dann brauche ich immerhin 250 Jahre, bis ich das gelesen habe.

Irgend jemand muß ja auch die 2 Mrd. Seiten mit etwas Sinnvollem beschreiben. Nehme ich zum Beispiel meinen heutigen Vortrag her, der ca. 60 MB groß ist, an dem ich auch einige Zeit gesessen bin und mir überlege, daß dieser in nur 4 sek übers Netz geblasen werden könnte, dann läßt sich leicht hochrechnen, daß sich sämliche Beschäftigten in Deutschland dransetzen müßten, um 155 M monatlich sinnvoll zu füllen. Dabei bin ich beileibe nicht gegen Hochgeschwindigkeit und gute Responsezeiten im Netz, nur: der Aufbau sinnvoller Anwendungen kostet Zeit, viel Zeit und Pioniere überholt man nicht gerade eben mal dadurch, daß man nach jahrelangem Verzögern mit einem Schlag die Übertragungsraten um den Faktor 10 hochdreht - zumal die Dragster- Pioniere in den anderen Ländern auch nicht gerade schlafen.

Dabei brauchen wir gar nicht so sehr nach USA zu schauen, die ja sowieso inzwischen uneinholbar vor uns liegen. Ein besseres Vorbild, nicht weit von uns - das kleine Finnland-, führt uns vor, wie man es auch machen kann: Mitglied in Larry Landweber's "International Academic Networkshop" seit Anbeginn(1984), intensive Mitarbeit in den Internet- Gremien, enge Kontakte mit den USA, offene Kommunikation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, strategische Kooperationsketten, eine kluge Förderpolitik.

Die Folge? Ein öffentlicher 2Mbit/s-IP Backbone bereits 1988/89, wichtige internationale Beiträge wie der IRC- Internet Relay Chat(RFC 1459) und Linux als offene Unix- Plattform, die Weltgeltung von Nokia, die Telecom Finland, die als erste nationale Telefongesellschaft Telefongespräche über das Internet anbietet. Und der volkswirtschaftliche Nutzen? Eine Verdreifachung des Exportanteils von High Tech- Produkten seit 1988(von 4.5 auf über 12 %)mit weiterhin starkem Aufwärtstrend, während die deutschen Zahlen seit Jahren stagnieren(bei ca.11%).

Ähnlich in Schweden, wo ebenfalls bereits ca. 40 % der privaten Haushalte Internetanschluß haben via Kabelfernsehnetz und Settop Box und Telia, die nationale PTT eng mit dem heimischen Hersteller Ericsson kooperiert.

 

I). Einseitige OSI- Politik:

 

Entsprechend hilflos war auch die Reaktion, nämlich sich um so fester an die einmal gefaßten Vorsätze zu klammern. und sich gegenseitig mit Durchhalteparolen Mut zu machen:

                "Keine Überlebenschance für TCP/IP" (03/88)

                "Nicht OSI-Inseln werden zusammenschmelzen" (03/90)

                "OSI-Prognose: keine Zweifel" (11/90)

                "OSI- im DFN: Neues von ISO DE" (06/93)

                "CNLP: OSI Alternative zum Internet-Protokoll (11/93)

Letztmals tauchte der Begriff OSI im März 1994, 10 Jahre nach dem Start des größten Netzfördervorhabens in Deutschland in den DFN- Mitteilungen auf, diesmal allerdings nur noch auf dem (E-) Migrationspfad nach Internet.

Die eigentliche Motivation war - zumindest von Seiten der Wissenschaft- jedoch nicht die echte OSI- Gläubigkeit, sondern eine ganz andere, sehr viel profanere: getreu dem bewährten Erfahrungssatz, daß

        "Geld das wirksamste Erziehungsmittel für Erwachsene"

ist, drohte das BMFT regelmäßig mit "Liebesentzug", wann immer Anzeichen von unbotmäßigem Verhalten erkennbar waren. Also verhielt man sich weiter konform, sang das Lied von OSI, und erhielt als Belohnung die begehrten Fördermittel. (Das funktionierte übrigens auch nach dem Ende der OSI- Doktrin genauso, z.B. wenn jemand auf die Idee kommen sollte, aus der Telekom-munikations- Einkaufsverband auszuschere

Dabei hatte es bei Projektbeginn noch völlig anders geheißen. Der damalige Forschungsminister Dr. Heinz Riesenhuber schloß seine nachlesenswerte Festrede anläßlich der Gründung des DFN- Vereins am 30.3.84 mit folgenden weitblickenden Worten:

        "Eine Vielfalt der Märkte und eine Vielfalt der Konkurrenzen wird eröffnet, weil es eben auch herstellerunabhängig und auch in dieser Hinsicht offen ist. Es kann sich eine Dynamik entwickeln, die wir am Anfang begleiten können. Bei der wir schauen können, daß sie in die richtige Richtung geht und ihre Formen gewinnt. Aber bei der wir das Ende heute noch nicht absehen können und auch nicht prognostizieren wollen. Unsere Aufgabe ist es nicht, auf prognostizierte Ziele hin zu entwickeln. Dies wäre dann immer nur die Reproduktion eines status quo, denn Prognose ist nur die Fortschreibung in einem überraschungsfreien Raum. Die Wirklichkeit ist durch das Entstehen ständig neuer Ideen gekennzeichnet. Diesen Ideen muß freier Raum gelassen werden"

Wie wahr!

Interessanterweise heißt es in einem Geleitwort des Forschungsministers 4 Jahre später:

        "Besondere Schwierigkeiten resultierten im übrigen aus der Orientierung des Projekts an den OSI- Standards. Die Vorreiterrolle, die der DFN- Verein bei der Realisierung Offener Netze übernimmt, ist ein wesentliches Element der Begründung für die Förderung durch den BMFT. Die OSI- Normen sind von besonderer wirtschaftspolitischer Bedeutung. Sie garantieren nicht nur freizügige Datenkommunikation; sie sind eine notwendige Voraussetzung für den Erhalt freier Teilmärkte im Bereich der Informationstechniken"

Nicht wahr!?


Man hatte sich dabei jahrelang so fest in OSI verbissen, daß es nach dem Schwenk in 1990 noch fast 4 Jahre dauerte, bis sich die Kiefernsperre im BMFT/DFN löste.

Die deutsche Industrie, die dieser Doktrin unkritisch folgte und daher auch keine parallelen Internet- Produktentwicklungen laufen hatte, mußte OSI- Entwicklungskosten in z.T. 3- stelliger Millionenhöhe abschreiben und stand am Ende mit leeren Händen da. Und dies bei einem prosperierenden IuK- Weltmarkt mit einem geschätzten Volumen in Höhe von derzeit 2 000 Mrd. DM und Wachstumsraten von 10%(Quelle: EITO- European Information Technology Observatory), auf dem die Internet- Technologie dabei ist, einen immer größeren Anteil zu okkupieren.