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Gero Decker, Gründer und CEO von Signavio im Interview

Das Unternehmen Signavio wurde von den HPI Alumni Gero Decker, Nicolas Peters, Torben Schreiter und Willi Tscheschner 2009 gegründet und im Januar 2021 für rund 1 Milliarde Euro von SAP übernommen.

Signavio-Gründer Gero Decker

Herzlichen Glückwünsch zur spektakulären Übernahme Eures Unternehmens Signavio! Es war lange Zeit nicht vorstellbar, dass ein deutsches Unternehmen für rund 1 Milliarde Euro ein heimisches Start-up kauft. Eure Übernahme durch SAP ist auch eine Erfolgsgeschichte für die gesamte deutsche Start-up-Szene. Wie seid Ihr damals auf die Idee gekommen, Signavio zu gründen? Gab es einen besonderen Moment, in dem Ihr wusstet „Jetzt gehen wir das an.“?

Alles ging los mit einem Bachelorprojekt am HPI. Ich war damals frischgebackener Doktorand im Fachgebiet Business Process Technology bei Prof. Weske und in meiner Rolle verantwortlich für die Betreuung einzelner Bachelorprojekte. 2006 kamen wir auf die Idee auszuprobieren, ob man das Thema Prozessmodellierung technologisch auch im Webbrowser umsetzen kann. Ein halbes Jahr später hatten wir einen spannenden Prototyp gebaut. Daraus ist wiederum das Open-Source-Projekt „Oryx“ entstanden, das unglaublich populär wurde. Als meine Doktorandenzeit zu Ende ging, haben wir im Team überlegt, welche Möglichkeiten wir haben, um das Projekt weiter am Leben zu halten. Ab da haben wir beschlossen, es einfach mal auszuprobieren. Im nächsten Schritt fingen wir an, mit unserem Produkt auf Kunden zuzugehen und hatten dabei sehr viel Glück mit der AOK Brandenburg, der jetzigen AOK Nordost. Aufgrund einer anstehenden Fusion zwischen der AOK Berlin und AOK Brandenburg hat der Zeitpunkt für beide Seiten perfekt gepasst. Sie waren sehr glücklich, als wir ihnen zeigten, dass unsere Software sie bei ihrer großen Herausforderung unterstützen kann. Das war für uns der Startschuss, wo wir gesehen haben: Mensch, da ist tatsächlich Bedarf auf Kundenseite! Noch ein dreiviertel Jahr haben wir an der Software weitergearbeitet bis wir diese dann bei der AOK erstmalig einsetzen konnten.

Welche Vorteile hatte es für Euch, als Team gemeinsam am HPI zu studieren und Eure eigenen Ideen verwirklichen zu können?

Ganz spannend war damals, dass uns viele davon abgeraten haben: Vier Informatiker, die alleine gründen? Das kann ja gar nichts werden! Man bräuchte viel mehr Diversität im Team, um beispielsweise auch Themenfelder, wie die Betriebswirtschaftslehre, personell abdecken zu können. Wir haben allerdings schnell beschlossen: Wir ignorieren das und machen es trotzdem! Die Liebe zur Technologie, die wir alle geteilt haben, kam uns zugute, um spannende Software-Produkte zu bauen und etwas umzusetzen, das weltweit einzigartig war. Der Vorteil unseres Teams bestand darin, dass wir von den Charakteren her ganz unterschiedlich waren. Nico und Willi haben sich auf die Software-Entwicklung konzentriert, Torben und ich um den Rest. Mein Part war der des „Frontman“, der jeden Tag Kundentermine absolvierte oder auf Konferenzen gesprochen hat. Ich habe tatsächlich nie wieder eine Codezeile geschrieben bei Signavio.

Das HPI gab uns die beste Ausgangslage, die man sich hätte wünschen können. Am HPI ging es schon immer darum, nicht nur technologisch spannende Dinge zu entwickeln, sondern auch einen Rundumblick für alles Weitere zu haben. Immer mit der Frage im Hinterkopf: Wann ist Technologie eigentlich relevant? Damals ging es los mit Design Thinking, was uns sehr inspiriert hat. Wir hatten Hasso Plattner als Professor, der geradezu verkörpert hat, Technologie, Markt- und Kundenverständnis und Begeisterung für Kundenprobleme zu kombinieren und in eine Firma zu gießen. Und wir hatten damals als einer der ersten Jahrgänge Vorlesungen und Seminare zum Thema Entrepreneurship mit Dr. Rouven Westphal und Eran Davidson, damals für Hasso Plattner Ventures tätig. Diese Lehrveranstaltungen haben so viel Wissen und Inspiration geliefert. Dort haben wir gelernt, worauf es ankommt bei einem Businessplan und wie die Finanzierungsrunden funktionieren. Das HPI hat uns bestmöglich ausgestattet, um loszulegen, spannende Technologien zu bauen und diese zum Kunden zu tragen.

Was waren die größten Herausforderungen beim Gründen? Habt Ihr Ratschläge für Gründerinnen und Gründer, die mit ihren Start-ups am Anfang stehen?

Was bei uns immer gut geklappt hat, ist, dass wir uns Ziele und Meilensteine für das aktuelle und kommende Jahr gesetzt haben. Wir haben uns gesagt, wenn wir diese Ziele erreichen, dann machen wir weiter. Wenn wir die Ziele allerdings zu 50% oder 80% verfehlen, dann hören wir auf. Was wir auf keinen Fall wollten, ist ein totes Pferd reiten. Es ist eine große Gefahr, wenn man ein Unternehmen aufbaut und dabei selbst nicht erkennt, dass es nirgendwo hinführt. Dafür muss man wirklich ehrlich zu sich sein und sich immer wieder fragen: haben wir Fortschritte gemacht oder halt auch nicht? Sonst zieht sich das Ganze wie ein Kaugummi und man kommt für viele Jahre nicht vom Fleck. Das wäre ärgerlich und Verschwendung der Lebensenergie. Wenn man sich allerdings 1- 2 Jahre nimmt, Ziele definiert und zwischendurch immer wieder ehrlich in den Spiegel schaut, dann kann man so manch eine Herausforderung meistern.

Leider klammern wir Deutschen in solchen Situationen schnell. Viele denken, dass es ihr „Baby“ sei und sie nicht scheitern wollen. Die Amerikaner sind da wesentlich besser als wir. Dort drehen sich die Räder viel schneller. Die schauen sich ihre Projekte alle 3 Monate an und bewerten ihre Fortschritte. Top oder Flop? Aufgeben kann manchmal genau das Richtige sein. Lustigerweise hatte ich am HPI sogar ein Seminar mit dem Titel „Wenn du ein totes Pferd reitest, solltest du absteigen.“ Das war damals ein Seminar von Prof. Zorn zum Thema Projektmanagement.

Mein Tipp an junge Gründerinnen und Gründer ist, einfach loszulegen. Gerade, wenn man frisch von der Uni kommt, hat man eigentlich nichts zu verlieren. Als Studierender hat man sich noch nicht an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt und kommt mit einem kleinen Studentenbudget gut aus. Ohne Familie und Kinder kann man auch mal die Nacht durcharbeiten. Das macht es natürlich viel einfacher, als wenn man dagegen schon 5 – 10 Jahre im Job war und sich überlegen muss: Gebe ich diese Privilegien auf, um mich in die Garage zu setzen und mich wieder von Toastbrot und Tütensuppen zu ernähren? Insofern rate ich jedem: Je früher, desto besser!

Wie geht es für Signavio unter dem Dach von SAP weiter? Gibt es konkrete Zukunftspläne?

Wir haben jetzt eine große Aufgabe bei der SAP. Es liegt an uns, das Thema Prozessmanagement, also das, was wir mit Signavio die letzten Jahre gemacht haben, für die SAP groß zu machen. Das heißt, wir müssen nicht nur unser Produkt weiterentwickeln, sondern das Thema für den ganzen Konzern ausbauen. Dafür gründen wir eine eigene Business Unit und nehmen eine sehr exponierte und wichtige Rolle innerhalb der SAP ein. Wir freuen uns auf unsere neue Gestaltungsaufgabe und viele weitere spannende Jahre!

Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Euch alles Gute und weiterhin viel Erfolg!

Kurzprofil HPI Alumni Startup Signavio

Dass die erstklassige Ausbildung am HPI nicht nur ein Türöffner für verantwortungsvolle Jobs in Unternehmen, sondern auch die Grundlage für den Sprung in die Selbstständigkeit sein kann, beweisen zahlreiche Start-ups, die bereits aus dem HPI hervorgegangen sind. Zu ihnen zählt auch die Signavio GmbH, die mit dem Signavio Process Editor Europas erstes "Modeling as a Service"-Angebot auf den Markt gebracht hat. Als Internet-basierte Lösung ermöglicht es den Anwendern, ohne Installationsaufwand und Investitionsrisiko, professionelles Prozessmanagement zu betreiben. Ausgewählte Prozesse können dabei mit Kunden und Lieferanten kollaborativ bearbeitet werden. Auch innerhalb der Organisation können mehrere Mitarbeitende in die Prozessgestaltung eingebunden und Verbesserungsvorschläge leichter eingearbeitet werden. Gegründet wurde das Unternehmen von den HPI-Alumni Gero Decker, Nicolas Peters, Torben Schreiter und Willi Tscheschner. Im Januar 2021 wurde die Unternehmensübernahme durch SAP bekannt gegeben.