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HPI-Absolvent erhält "Better World Award UP 2024"

Mit 50 Kilometer pro Stunde fliegt die Drohne über das Meer. Sie kann 100 Kilometer Strecke zurücklegen. Gewicht: gerade mal zwei Kilo. Anders als manch einer vielleicht denkt: Eine Drohne ist Rohan Sawahn selbst noch nie geflogen.

Rohan Sawahns Aufgabenbereich ist ein anderer: der Software-Engineer widmet sich dem Herzstück des Fluggeräts. Innendrin befindet sich ein kleiner Mikrochip, auf dem die gesamte Hardware läuft. Der 24-Jährige hat die dazugehörige KI entwickelt, welche Menschen, Boote und Objekte im Meer erkennen und unterscheiden kann. Sein neues KI-Modell soll den effizienten und kostengünstigen Einsatz von Drohnen zum Lokalisieren von Menschen in Seenot ermöglichen.  

Rohan Sawahn (HPI Master-Absolvent, IT Systems Engineering) hat die Headlines zu oft gelesen. Die Zahlen zu oft verdauen müssen. In den letzten 10 Jahren sind mehr als 30 Tausend Menschen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt im Mittelmeer uns Leben gekommen. 

Es sind die einzelnen Geschichten, die Rohan mitten ins Herz treffen und ihn dazu bewegen, sich die alles entscheidende Frage zu stellen: „Wie kann ich mit meinen Fähigkeiten dazu beitragen, dass Hilfe schneller bei denjenigen ankommt, die sie so dringend benötigen?“  

Er findet selbst, dass es etwas „cheesy klingt…“ aber letztendlich steckt es eben doch in ihm drin. Dieser Wunsch, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. 

Am 18. Oktober wurde Rohan Sawahn mit dem „Better World Award“ von der Universitätsgesellschaft Potsdam ausgezeichnet. Die Drohnen entstehen in Zusammenarbeit mit der non-profit Organisation Search Wing und stehen Nichtregierungsorganisationen zur Seenotrettung zur Verfügung.  

Wie genau dieses neue KI-Modell funktioniert und was Rohan Sawahn trotz vieler Rückschläge immer wieder angetrieben hat, weiterzumachen? Hier das vollständige Interview: 

Hasso-Plattner-Institut: Wie würdest Du einem fachfremden Menschen Dein Projekt erklären?

Rohan Sawahn: In den letzten 10 Jahren sind mehr als 30.000 Menschen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt im Mittelmeer ums Leben gekommen. Zivile Seenotrettungsorganisationen versuchen diese Menschen zu retten, haben aber nur sehr begrenzte finanzielle Mittel. Deswegen habe ich in Kooperation mit SearchWing ein KI-Modell entwickelt, das den effizienten und kostengünstigen Einsatz von Drohnen zum Lokalisieren von Menschen in Seenot ermöglicht.

HPI: Was ist das Ziel Deines Projekts?

Rohan: Das Ziel war es, dass die Drohnen am Ende quasi autonom große Gebiete im Mittelmeer abfliegen können, um nach Menschen in Seenot zu suchen. Aktuell passiert das vor allem mit Booten und Flugzeugen, was deutlich aufwändiger und teurer ist und für die (oft auf Spendengeldern arbeitenden) zivilen Seenotrettungsorganisationen nur schwer stemmbar ist. Deswegen könnte der Einsatz einer Drohne hier helfen, größere Regionen als vorher abzudecken und Menschen in Seenot auch schneller zu finden.

HPI: Wie funktioniert es konkret in der Umsetzung? 

Rohan: Die Drohnen, die zum Einsatz kommen, werden sehr kostengünstig von SearchWing gebaut, damit die Seenotrettungsorganisationen einfacheren Zugang zu dieser Technik haben. Die Drohnen fliegen dann gewisse Regionen ab und suchen mit einer Kamera das Gebiet darunter ab. Mein KI-Modell erlaubt es jetzt, automatisiert an Bord der Drohne zu erkennen, ob sich Menschen in Seenot im Wasser befinden, und meldet dies dann dem RettungsschiK. Die Schwierigkeit hierbei ist, dass die Menschen/Boote im Wasser sehr winzig sind, da die Drohne auf mehreren hundert Metern Höhe fliegt. Dazu kommt, dass sehr simple Hardware im Einsatz ist. Die ist nicht sehr performant, aber dafür sehr energiesparsam und leicht. Deswegen habe ich ein für diesen Anwendungsfall spezialisiertes Deep-Learning-Modell entwickelt.

HPI: Wo konntest Du es bereits testen und wie lief es?

Rohan: Die Drohnen an sich testet SearchWing schon seit Längerem mit verschiedenen Seenotrettungsorganisationen, wie zum Beispiel Sea-Watch. Das neue KI-Modell habe ich bisher vor allem mit bereits vor längerem im Mittelmeer aufgenommenen Videos getestet, mit sehr guten Ergebnissen: Je nachdem, auf welcher Höhe die Drohne fliegt, werden mehr als 90 Prozent aller Menschen und Boote im Wasser gefunden, die teilweise für das menschliche Auge kaum zu erkennen sind.

HPI: Inwiefern kannst Du die aktuelle Seenotrettung mit Deinem Projekt unterstützen?

Rohan: Die traurige Realität in der Seenotrettung ist, dass diese politisch immer weiter erschwert wird: Die letzte staatliche Seenotrettungsmission wurde schon vor Jahren abgeschaKt, aktuell werden teilweise Gesetze erlassen, die explizit darauf abzielen, die Seenotrettung zu erschweren. Die Seenotrettungsboote werden teilweise über Wochen in Häfen unter vorgeschobenen Gründen festgesetzt und Seenotretter sogar kriminalisiert. Zur gleichen Zeit hat die Seenotrettung auch nur begrenzte finanzielle Mittel für die extrem teuren Such- und Rettungsmissionen. Durch den Einsatz von Drohnen statt Flugzeugen und Booten können hier deutlich Kosten gespart werden und die Rettung auch effizienter gemacht werden. Pushbacks und Gewalt gegen flüchtende Menschen auch von der europäischen Küstenwache sind keine Ausnahmen. Die Drohnen können hier auch eingesetzt werden, um solche Verbrechen zumindest zu dokumentieren, auch wenn kein Rettungsteam direkt vor Ort ist.

HPI: Wo kann es zukünftig überall eingesetzt werden und von wem?

Rohan: Das Ganze soll in Zukunft von verschiedensten zivilen Seenotrettungsorganisationen eingesetzt werden. Die Drohnen sind aktuell für den Einsatz im Mittelmeer vorgesehen, eine der tödlichsten Fluchtrouten weltweit.

HPI: Wie entstand die Idee zum Projekt?

Rohan: Ich war mehrere Jahre politisch aktiv und die Geschwindigkeit, mit der Veränderung dort vonstatten geht, kollidiert ziemlich hart mit der Realität, dass wöchentlich teils dutzende Menschen im Mittelmeer ertrinken. Wenn man sich jetzt noch den Trend der letzten Wahlen anschaut, dann ist auch nicht davon auszugehen, dass eine politische Verbesserung der Situation in nächster Zeit eintreten wird. Und das ist echt verdammt traurig, weil es geht hier letztlich nicht um politische Entscheidungen: Die Frage, ob man Strukturen schafft, um Menschen in Seenot zu retten, darf keine politische Frage sein. Es geht dabei nicht darum, in welchem Land und wie lange Menschen in gewissen Ländern aufgenommen werden, sondern es geht schlicht und einfach darum, ob man alles in der Macht Stehende tut, damit ein Mensch nicht ertrinkt, oder das willentlich in Kauf nimmt, dass er ertrinken könnte. Deswegen habe ich in dem Projekt versucht, zumindest mit den Fähigkeiten, die ich habe, etwas dazu beizutragen, dass Hilfe schneller bei denjenigen ankommt, die sie so dringend benötigen.

HPI: Welche Holpersteine hast Du während Deiner Arbeit erlebt – und musstest Du das Drohnenfliegen erlernen?

Rohan: Eine Drohne geflogen bin ich tatsächlich noch nie. Auch wenn sich das Ganze sehr so anhört, als hätte ich viel an der Drohne gebastelt oder wäre draußen mit der Drohne unterwegs gewesen, so habe ich den Großteil der Zeit nur am Rechner gesessen und das KI-Modell entwickelt. Holpersteine gab es dabei nur zuhauf und das Ganze war echt eine ganz schöne intensive Reise mit vielen Aufs und Abs, wie das vermutlich bei den meisten wissenschaftlichen Arbeiten ist.

HPI: Was hat Dich dazu bewegt, immer weiterzumachen?

Rohan: Wenn man mehrere Wochen mit einer Hypothese verbracht hat und sich dann herausstellt, dass das Ganze nicht wie erwartet funktioniert, ist das natürlich frustrierend. Aber zu wissen, dass die Arbeit nicht nur theoretischer Natur ist, sondern am Ende auch eingesetzt wird, war natürlich zusätzlich motivierend.

HPI: Warum ist das für Dich mehr als einfach nur ein Projekt. Sogar ein Herzensprojekt?

Rohan: Wenn man sich anschaut, wie grausam die Fluchtwege über das Mittelmeer sind und sich die Geschichten der Menschen anhört, die darüber berichten, zerreißt einem das Herz. Auch wenn das Projekt natürlich nur sehr begrenzten Impact hat, ist es ein Schritt, der die Seenotrettung zumindest ein bisschen unterstützen kann, so sehr ich mir natürlich auch wünschen würde, dass Menschen gar nicht erst so eine Flucht antreten müssten.

HPI: Inwiefern fühlst Du Dich als Software-Engineer verantwortlich, Dinge für eine bessere Welt zu entwickeln?

Rohan: Ich glaube, der Arbeitsmarkt für Softwareentwickler ist aktuell sehr dankbar und bringt einen in eine sehr privilegierte Position, die man ruhig dafür nutzen sollte, sich die Frage zu stellen, wie man mit seinen Fähigkeiten dazu beitragen kann, dass man diese Welt ein Stück besser hinterlässt, als sie gerade ist, auch wenn das etwas cheesy klingt. Ich denke, vor allem sind wir als Softwareentwickler auch dafür verantwortlich, dass wir uns fragen, welchen Einfluss die Technologien, die wir entwickeln, auf das Leben anderer haben werden und welche negativen Potenziale sich aus unseren Entwicklungen ergeben könnten.

  • Bild: SearchWing
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Letzte Änderung: 04.09.2024