Die neue HPI-Professorin Helene Kretzmer leitet seit Oktober das Fachgebiet “Computational Genomics” im Forschungscluster Digital Health. Ihr Ziel: genau zu verstehen, wie unser Erbgut funktioniert, um dieses Wissen dann auch auf kranke Zellen zu übertragen – und damit Krankheiten besser zu detektieren.
Helene Kretzmer ist eine Frau, die einfach macht. Die Chancen ergreift. Sie hatte nie den einen klaren Zukunftsplan und das hat sie auch nie beunruhigt – ganz im Gegenteil: Es hat ihr genau die Freiheit gegeben, die sie hier ans HPI führte.
Nach einem Studium der Bio-Mathematik startete Helene einen Ph.D. in Informatik mit dem Schwerpunkt auf Methoden und Analysen im Bereich Epigenetik, Datenintegration in Lymphomen (Helene war Teil des International Cancer Genome Consortium, ICGC).
Danach war sie Postdoktorandin und dann Gruppenleiterin im Department für Genome Regulation am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik.
Das Interview mit Helene lebt von ihrer Natürlichkeit. Ihrer intrinsischen Begeisterung für ihr Fachgebiet. Und ihrer angenehmen Offenheit – und dazu zählt eben auch: bei kalten 4 Grad mit ein paar unerwarteten Fragen überrascht zu werden (siehe Video unten).
Außerdem erfahrt ihr, was eine Playstation mit Helene Kretzmers fachlichen Kenntnissen zu tun hat, und wie ihre Mitarbeit in einem internationalen Krebskonsortium ihre berufliche Laufbahn beeinflusste.
Hasso-Plattner-Institut: Wie fühlte sich Dein erster Tag am HPI an?
Helene: Aufgeregt und sehr glücklich ist vielleicht die richtige Beschreibung. Zum einen weiß man ja nicht so richtig, was auf einen zukommt, aber auf der anderen Seite hatte ich schon so viele positive Interaktionen, dass ich mir wenige Sorgen gemacht habe, sondern mich eher schon fast zu Hause gefühlt habe. Meine Gruppe und ich wurden im Hauptgebäude von unserer Fakultätsmanagerin Hülya abgeholt, haben unsere Schlüssel bekommen und sind dann alle zum DHC gegangen. Dort haben wir dann angefangen, uns einzurichten. Es gab einen Willkommens-Blumenstrauß von Geschäftsführer Tobias und später kam dann Ariel Stern mit ihrer Gruppe noch zum Hallo sagen.
HPI: Was ist aus Deinem alten Büro mit umgezogen?
Helene: Umgezogen sind vor allem viele Pflanzen, die meine Gruppe sehr gut pflegt hat und die bei ihr ein sehr gutes Leben haben. Ich persönlich habe noch einen circa fünf Zentimer hohen grünen Joda mitgebracht, den mir die IT am Max-Planck-Institut (Berlin) vor Jahren gedruckt und geschenkt hat. Seitdem steht er immer hinter mir und begleitet mich tatsächlich auch in vielen Zoomcalls (und erfreut öfter mal Leute).
HPI: Was hat Dich am HPI überzeugt?
Helene: Ich glaube, das ist eine Kombination. Zum einen schon einfach die Qualität der Lehre und Forschung. Ich will das gut machen, was ich tue und dafür möchte ich an einem Platz sein, an dem genau das gewollt und unterstützt wird. Meine persönlichen Interaktionen waren alle sehr positiv, die gesamte Stimmung ist freundlich, offen und auf allen Ebenen unterstützend und das hat einfach ein sehr gutes Gefühl hinterlassen. Hinzu kommen auch die Entwicklungschancen: Ich habe viel Zeit sehr dicht an der experimentellen Forschung verbracht und möchte jetzt etwas mehr in Richtung Methoden und Entwicklung neuer Modelle gehen – mit dem Fokus auf translational biomedical research.
HPI: Was ist für Dich “typisch” HPI?
Helene: Der Fokus auf Exzellenz in Lehre und Forschung – die Idee, sich seinen eigenen Nachwuchs möglichst gut selbst auszubilden. Und nicht zu beschweren, sondern zu machen: Ich habe das Gefühl, dass viel Wert auf das Finden von Problemen oder Limitationen gelegt wird, um gezielt dagegen zu arbeiten und nicht wegzugucken und auch in möglichst vielem transparent zu sein und Mitarbeiter zu involvieren.
HPI: Wie würdest Du einem komplett fachfremden Menschen erklären, woran Du aktuell forschst?
Helene: Ich möchte verstehen, wie unsere Zellen wissen, in was sie sich entwickeln sollen und wie sie es schaffen, dass das immer wieder gut klappt, um dann dieses Wissen auf kranke Zellen zu übertragen: Was geht wann schief, sodass diese Zellen ihre Identität verlieren? Dazu bedarf es neuer Methoden, um die vielschichtigen, verschiedenen Daten, die wir erheben, analysieren und integrieren zu können, um neues Wissen zu erlangen und dann dieses Wissen so anzuwenden, dass wir Krankheiten schneller und besser klassifizieren und detektieren können.
HPI: Wie bist Du zu Deinem Forschungsschwerpunkt gekommen?
Helene: Im Englischen würde ich ‘serendipity’ sagen. Vielleicht war es aber auch einfach, dass ich dem gefolgt bin, was ich faszinierend und interessant fand. Während meines Studiums war ich in Neuseeland und habe dort das erste Mal mit Sequenzdaten von Genomen gearbeitet (da war Genomsequenzierung noch relativ neu/teuer). Und ich dachte: Wahnsinn, jetzt wissen wir alles über jede Zelle und können alles verstehen. Das war natürlich nicht so, wie ich dann schnell gemerkt habe. Aber die Faszination dafür war geboren. Und als ich im Ph.D. dann die große Chance hatte, in einem internationalen Krebskonsortium mitzuarbeiten, und dort an Epigenetik geforscht habe, war eigentlich klar, dass dort so viel Potential liegt, dass ich das weiter machen wollte.
HPI: Was genau fasziniert Dich daran?
Helene: Wir forschen an den Grundbausteinen, die den gesamten Lageplan von Organismen enthalten – und obwohl es diese Bereiche sehr lange schon gibt, haben wir vieles nicht verstanden. Die Komplexität ist riesig und es gibt noch so viel zu entdecken und zu verstehen. Hinzu kommt, dass das Epigenom Zelltyp und Zustand spezifisch ist (im Gegensatz zum Genom) und es damit wunderbar für die Charakterisierung von Krankheiten und damit auch sehr relevant für deren Klassifikation und Detektierbarkeit ist. Wir können also von beiden Seiten auf Krankheiten schauen und damit auf der einen Seite das biomedizinische Wissen voranbringen, aber auf der anderen Seite auch Tools und Algorithmen entwickeln, um dieses Wissen dann auch zu nutzen.
HPI: Wann hast Du bemerkt: Im Bereich Digital Health kann ich etwas bewegen?
Helene: Ich glaube, das passiert immer genau dann, wenn man merkt, dass etwas funktioniert, was man zuvor für unmöglich gehalten hat. Aber vom Prinzip her ist jede Kollaboration mit Biologen und Medizinern eine Bestärkung. Beide Seiten bringen ihre Expertise mit und zusammen können wir neue Erkenntnisse gewinnen. Für mich ist die (Bio)informatik ein Werkzeug, quasi der Weg und nicht das Ziel. Daher ist mein Anteil in jedem Projekt auf der bioinformatischen Seite, aber zum Ziel kommen wir nur zusammen. Das ist für beide/alle Seiten so, daher ist am Ende jede erfolgreiche Kollaboration eine Bestärkung, dass wir im Bereich Gesundheit/Digital Health etwas bewegen können.
HPI: Wer hat Dich inspiriert? Wem möchtest Du Danke sagen?
Helene: Meine Mutter. Sie hat mich immer unterstützt, besonders wenn ich mal nicht wusste, was ich als nächstes tun soll. In ihren Augen waren alle Wege richtig, solange ich mich bewusst dafür entschieden habe. Meine Lieblingsaussage: Der Trend geht zum Zweitberuf. Dahinter steht, dass man sich weiterentwickeln darf. Nur weil man mal etwas großartig fand, muss man es nicht für immer machen. Wir entwickeln uns und mit uns auch den Weg, den wir gehen wollen.
HPI: Gab es Interessen, die Dir schon früh klar gemacht haben: “Das ist mein Weg!”?
Helene: Ich wollte, solange ich denken kann, Medizin studieren, aber – wie ich während des Abis gemerkt habe – nicht, weil ich Arzt werden wollte, sondern, weil ich das Wissen nutzen wollte, um in die Forschung zu gehen. In der Schule hatte ich großes Interesse an Mathematik und Biologie, habe das dann auch als Leistungskurse gewählt und mich dann relativ spontan für ein Studium der Biomathematik entschieden. In Kombination mit meinem Interesse an Algorithmen und etwas Zufall bin ich dann genau auf das gestoßen, was ich machen wollte, und einfach wirklich sehr gerne tue: verstehen, wie unser Erbgut funktioniert und an Krankheiten forschen.
HPI: Was war so ein “typischer” Helene-Move aus Deiner Kindheit?
Helene: Ich war immer gut darin, kreative Lösungen für Probleme zu finden. Ein Beispiel: Einmal wollte ich die Unterschrift meines Vaters haben, damit sich mein Bruder eine Playstation kaufen kann. Ich wusste, dass mein Vater seine Unterschrift auf seinem Computer gespeichert hat und er meinte, wenn ich es schaffe, da dranzukommen, dürfen wir sie nutzen. Es hat circa 15 Minuten gedauert – nicht, weil ich sein Passwort oder andere seiner Schutzmechanismen geknackt hatte, sondern weil ich einen alten Brief mit der Unterschrift gefunden und den unterliegenden Text angepasst hatte.
HPI: Am HPI leben wir eine gesunde Fehlerkultur: “fail often and early”. Was war Dein größter “Fehltritt”?
Helene: Ich bin nicht sicher, ob ich da einen großen Fehltritt benennen kann. Vielleicht mein Abi. Da habe ich erst sehr spät festgestellt, dass man mit einem Durchschnitt ‘schlechter als 1.0’ ohne sehr langes Warten gar nicht Medizin studieren kann. Das hat dann dazu geführt, dass ich meinen Wunsch nochmal überdacht habe und mich für Biomathematik entschieden habe – was retrospektiv gesehen genau richtig und sehr viel besser war für das, was ich eigentlich machen wollte und jetzt gerade mache. Das wusste ich nur im Abi noch nicht.
HPI: Inwiefern ist das, was Du tust, mehr als “nur” Arbeit?
Helene: Ich mache meinen “Job” unglaublich gerne. Ich habe da etwas gefunden, dass mich intrinsisch interessiert, motiviert und fasziniert. So viel Glück hat man selten – wobei man natürlich dadurch auch nicht nine-to-five, also die traditionalle Vollzeitwoche arbeitet, sondern viel Freizeit investiert und sich gelegentlich fragt, wo der Sommer geblieben ist. Aber ich bin extrem froh, dass ich die Chance habe, meinen eigenen Interessen auch beruflich nachzugehen. Der Job ist aber auch mehr als der Forschungsinhalt, besonders auf der menschlichen Ebene. Ich habe das unglaubliche Glück, mit Menschen zusammenarbeiten zu dürfen, die nicht nur wahnsinnig intelligent und motiviert sind, sondern auch auf der persönlichen Ebene großartig.
HPI: 3 Deiner persönlichen Learnings, die Du jungen Forschenden mit auf den Weg geben möchtest?
Helene: 1. Habt keine Angst vor Fehlern: Forschung ist selten ein gerader, linearer Weg. Jeder Umweg und Schlenker bringt neue Erfahrungen und Wissen und dazu gehört es auch, Fehler zu machen. Fehler werden erst gefährlich, wenn man sie verheimlicht oder vertuscht. Geht offen damit um, sie sind Teil eines Lernprozesses.
2. Hört auf euer Bauchgefühl: Ich habe nie wahnsinnig viel vorausgeplant – die meisten Schritte und Entscheidungen konnte ich gar nicht voraussehen, da sich die Türen immer erst geöffnet haben, als ich da war. Wenn ihr das macht, was euch fasziniert und glücklich macht, wird es dort einen Weg und eine Chance geben. Sich zu verbiegen, um Forschung zu machen, die man eigentlich gar nicht will, macht weder euch glücklich noch denjenigen, der euch die Chance dazu bietet.
3. Ihr seid so richtig, wie ihr seid. Lasst euch nicht einreden, dass man nur ein richtiger Engineer/Informatiker/... ist, wenn man bestimmte Felder besonders mag. Es gibt so viele verschieden Bereiche, dass Masken, in die man passen muss, fehl am Platz sind. Findet Leute, die eure Interessen teilen, seid neugierig und findet den Weg zu dem, was ihr gerne macht.
Last change: 20/11/2024, Mareike Schreiber