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Was hilft gegen die zunehmende Antibiotika-Resistenz?

Prof. Lothar Wieler vor HPI Digital Health Cluster

Interview mit Prof. Lothar H. Wieler

Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft die zunehmende Resistenz von Erregern gegen Antibiotika als globale Gefahr ein. Nach neuesten Erkenntnissen starben im Jahr 2019 1,27 Millionen Menschen, weil Antibiotika bei Infektionen nicht wirkten. Prof. Lothar H. Wieler, der Leiter des Fachgebiets Digital Global Public Health am HPI, setzt sich dafür ein, die Ausbreitung der Antibiotika-Resistenzen stärker einzudämmen. Im Interview erklärt er, was gegen diese globale Entwicklung getan werden kann. 

Was hilft gegen die zunehmende Antibiotika-Resistenz? 

Prof. Wieler: Die WHO hat 2015 einen Globalen Aktionsplan beschlossen, der fünf große Bereiche abdeckt: Ganz im Vordergrund steht, das Bewusstsein zu erhöhen und die Kenntnisse der Menschen über die große Herausforderung der Antibiotikaresistenzen zu stärken. Hier stehen wirksame Kommunikation, Aufklärung und Schulung im Mittelpunkt. Die zweite Aktivität betrifft die Stärkung der Wissens- und Evidenzbasis. Hier steht die sogenannte Surveillance im Vordergrund, also die Erfassung sowohl der in der Human- als auch der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika sowie der Infektionserreger, die Resistenzen gegen diese Antibiotika ausbilden. Der Umfang des Problems kann nur deutlich werden, wenn valide Daten zur Verfügung stehen. Ein weiterer ganz zentraler Aspekt ist natürlich die Reduktion des Infektionsgeschehens. Hier stehen wirksame Hygiene- und Infektionspräventionsmaßnahmen im Vordergrund. Das ist natürlich die wirksamste Maßnahme: Je weniger bakterielle Infektionen vorkommen, desto weniger Menschen und Tiere erkranken, und desto weniger Antibiotika müssen eingesetzt werden.

Weiterhin gilt es, den Einsatz von Antibiotika zu optimieren, und zwar bei Tier und Mensch. Leider werden Antibiotika häufig eingesetzt, obwohl das Krankheitsbild das gar nicht erfordert. Dazu müssen z.B. therapeutische und diagnostische Leitlinien entworfen werden, um den Verschreibenden optimale Entscheidungshilfen zu bieten. Als letzte Maßnahme nennt der WHO Aktionsplan die Etablierung wirtschaftlicher Modelle für nachhaltige Investitionen, die die Bedürfnisse aller Länder berücksichtigen und die Investitionen in die Erforschung neuer Medikamente, Diagnostika, Impfstoffe und anderer Präventions- und Interventionsmaßnahmen erhöhen. So ist es beispielsweise finanziell wenig attraktiv für pharmazeutische Unternehmen, in die kostspielige Forschung und Entwicklung für neue Antibiotika zu investieren unter der Maßgabe, dass solche Medikamente nach ihrer Zulassung dann möglichst nur wenig und gezielt eingesetzt werden sollen, etwa als Reserveantibiotika.

Vieles spricht dafür, die Entwicklung genauer zu überwachen. Wie kann ein solches Surveillance-System aussehen? 

Prof. Wieler: Die Surveillance entfaltet dann ihren größten Wert, wenn sowohl die Resistenzen einzelner bakterieller Infektionserreger als auch der Einsatz von Antibiotika erfasst werden – und dies kombiniert wird mit Daten zur Krankheitsschwere. Und das sollte im Optimalfall sowohl in der Tier- als auch der Humanmedizin passieren. Optimal ist es, wenn diese Erfassung zeitlich und räumlich parallel verläuft, denn ein bestimmter Anteil der Infektionserreger kann sowohl Tiere als auch Menschen infizieren, das sind die sogenannten Zoonoseerreger. So kann man Infektionswege früh erkennen und dann früher und gezielter unterbrechen. Hier spielt dann auch das Setting eine wichtige Rolle, z.B. das Krankenhaus oder die ambulante Versorgung. Im Krankenhaus können mittels kontinuierlicher Surveillance sowohl Ausbrüche schneller erkannt werden als auch der Einfluss der Gabe von Antibiotika auf die jeweilige Resistenzentwicklung. So steht ein ausgezeichnetes Steuerungstool zur Verfügung, das sowohl den Patienten und Patientinnen dient als auch die Resistenzentwicklung verlangsamt. Ein sehr wichtiges Werkzeug ist hier die Entschlüsselung des Erbgutes der Infektionserreger, die sogenannte genomische Surveillance. Anhand dieser Daten kann man sowohl die Verwandtschaft der einzelnen Infektionserreger bestimmen – also Ausbrüche unmittelbar erkennen – als auch durch bioinformatische Analysen Rückschlüsse auf die biologischen Eigenschaften der Erreger schließen. Hier interessieren vor allem die Resistenz, aber auch die krankmachenden Eigenschaften, die Virulenz.

Wie genau könnte Künstliche Intelligenz hier eingesetzt werden? 

Prof. Wieler: KI kann und wird in jedem der fünf genannten Bereiche einen Mehrwert erzeugen, denken Sie nur daran, wie z.B. Ärztinnen und Ärzte durch aktuelle Informationen bei der Auswahl der passenden Antibiotika unterstützt werden können, oder wie grundsätzlich durch die Verwendung von Large Language Modellen, z.B. in Apps, alle Menschen gezielt Fragen stellen können und zielgenau mit wichtigen Informationen versorgt werden können. Bezüglich der Surveillance steht ganz die Analyse und Auswertung der Daten im Vordergrund, hier werden etwa Informationen von verschiedenen Datenquellen aktuell gemeinsam ausgewertet und visualisiert, sodass Resistenzentwicklungen oder Ausbrüche sehr schnell erkannt werden können. Das fördert die Transparenz, die Grundlage vieler wichtiger Entscheidungen ist, z.B. im Bezug darauf wie gut Behandlungen tatsächlich wirken oder welche neuen Erreger das Infektionsgeschehen beherrschen. Grundsätzlich werden zudem wiederkehrende Aufgaben, wie die Verschreibung und das Absetzen von Antibiotika, zielgenauer ermöglicht und damit bessere Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung gestellt. Durch die automatisierte Analyse des Erbgutes von Infektionserregern können zudem lokal, national und global neue Resistenzentwicklungen in Echtzeit sichtbar gemacht werden. Den Wert solcher Analysen haben sicher alle Menschen während der COVID-19-Pandemie noch vor Augen, wo der Nachweis von SARS-CoV2-Varianten mittels Genomanalyse durch Vernetzung dieser Informationen mit epidemiologischen Daten zeitnah die Veränderung der krankmachenden und immunevasiven Varianten ermöglichte und zu Anpassungen in der Infektionsbekämpfung führte, etwa bei Quarantänemaßnahmen oder der Impfstoffentwicklung. Es ist genau diese skalierbare Analyse und Vernetzung von verschiedenen Datenquellen, die KI so wertvoll macht.

Mit welchen Folgen rechnen Sie, wenn es nicht gelingt, die Ausbreitung der Antibiotika-Resistenzen zu verlangsamen? 

Prof. Wieler: Für das Jahr 2019 wurden global rund 1,27 Millionen Todesfälle direkt bedingt durch Infektionskrankheiten mit antibiotikaresistenten Bakterien berechnet, hierbei standen Lungeninfektionen im Vordergrund. Zudem wurde geschätzt, dass 3,57 Millionen Todesfälle mit Infektionen durch antibiotikaresistente Bakterien assoziiert waren. Diese Zahlen würden stetig zunehmen. Genauso würde die Zahl derjenigen Infektionsfälle steigen, die aufgrund kaum oder gar nicht wirksamer Therapie eine längere Heilungsdauer in Anspruch nehmen. Das sind folgenschwere Entwicklungen für Mensch und Tier. Vereinzelt werden tatsächlich schon heute Infektionsfälle berichtet, deren Infektionserreger panresistent sind, also gar nicht mehr bekämpft werden können. Es gibt daher auch das Szenario des postantibiotischen Zeitalters. Das würde bedeuten, dass sogar Errungenschaften der modernen Medizin verloren gingen, wie z.B. Organtransplantationen oder andere operative Eingriffe. Diese werden nämlich unter einem Antibiotika-Schutz durchgeführt. Wären die entsprechenden Infektionserreger resistent, stünden die Operationen unter einem sehr hohen Risiko teilweise schwerwiegender oder sogar lebensbedrohlicher Infektionen.

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Letzte Änderung: 04.09.2024