HPI: Wozu forschst du am HPI? Warum liegt dir dein Forschungsthema persönlich am Herzen?
Michelle Döring: Ich forsche in zwei Themengebieten: Temporale Graphen und Social Choice Theory. Structural Properties of Temporal Graphs – In meiner Doktorarbeit werde ich mich mit den strukturellen Eigenschaften von temporalen Graphen auseinandersetzen. Es fasziniert mich sehr, in kompliziert und zufällig aussehenden Strukturen Muster und Regeln zu erkennen und diese dann nachvollziehbar zu berechnen. Graphen bestehen simpel gesehen aus Entitäten, die miteinander verbunden sind: Straßensysteme enthalten Stationen verbunden durch Züge und Soziale Netzwerke enthalten Menschen verbunden durch Freundschaften. Viele dieser alltäglichen Netzwerke verändern sich durchgängig und vorhersehbar: Die zeitliche Veränderung ist also Teil des Netzwerkes. In Straßensystemen muss man an der Haltestelle warten, bis ein Zug kommt und kann nicht einfach jederzeit zwischen Stationen wandern. Die theoretische Analyse dieser sogenannten temporalen (latein: temporalis - Zeit) Graphen steckt jedoch noch in ihren Anfängen. Viele Einsichten, die wir für "klassische", sogenannte statische, Graphen über die letzten Jahrzehnte gesammelt haben, warten nur darauf im Laufe der Zeit hinterfragt zu werden.
Social Choice Theory – Mein Masterarbeitsthema drehte sich um das Bestimmen von Wahl- beziehungsweise Turniergewinnenden. Auch wenn die Frage nach solchen Gewinnenden und den zugrunde liegenden Wahlsystemen für die die allgemeine Bevölkerung doch recht festgesetzt und "über Jahre bewehrt" scheint, gibt es in diesem Bereich eine Menge Forschung um die Fairness, Rechtmäßigkeit und Robustheit von Wahlsystemen zu untersuchen und zu verbessern. Die Forschung hierbei ist in einer interessanten Schnittmenge zwischen mathematischer Theorie und sozialer "Gerechtigkeit", was den Forschungsalltag sehr spannend und abwechslungsreich gestaltet.
HPI: Worin siehst du die größten Hürden für Mädchen und Frauen im IT-Bereich?
Michelle Doering: Für mich ist es das konstante Bewusstsein, dass es Hürden geben könnte. Auch wenn man sich einfach nur seiner Forschung, seiner Leidenschaft widmen möchte, schwebt da immer eine mögliche Wolke über einem, die man nicht ignorieren kann beziehungsweise sollte. Das äußert sich darin, dass man vielleicht die einzige Frau im Raum bei einer Konferenz ist; dass jemand eine seltsame Bemerkung macht, die so klingt als würde die eigene Legitimität angezweifelt; dass man sich fragt ob das Lob oder die Kritik, die man gerade erhalten hat, unter der Vorraussetzung getätigt wurde, dass man eine Frau ist.
HPI: Was wünschst du dir für die Zukunft in Bezug auf Frauen in der IT? Welche Förderungen und/oder Angebote braucht es aus deiner Sicht, um künftige IT-Studentinnen optimal bei ihrem Einstieg in die Tech-Branche zu unterstützen?
Michelle Döring: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man AnsprechpartnerInnen hat, welche offen und ehrlich Kontext zu alltäglichen Fragen geben können – zu allem, was einem im Studium begegnet. Das könnte zum Beispiel in Form eines Mentorings umgesetzt werden, indem (vorzugsweise weibliche) Studierende, PhDs, Postdocs für eine kleine Gruppe von Studentinnen zur Beratung, Anleitung und insbesondere Validierung zur Seite stehen. Dies wäre eine gute Möglichkeit, in einem vertrauten Rahmen Antworten und Feedback zu den vielfältigen Gedanken zu bekommen, die einem im Kopf herumschwirren.