HPI D-School Alumni entwickeln Slow Media-App "Rohpost"

Immer mehr Menschen empfinden Stress durch die Nutzung von sozialen Medien. In Zeiten der Coronavirus-Pandemie verbringen wir noch mehr Zeit an unseren Bildschirmen, was bei vielen eine zusätzliche Belastung auslöst. Eine von HPI D-School Alumni entwickelte App namens "Rohpost" kann dabei helfen, diese Stressfaktoren zu minimieren.

 

Mara und Frederik von Rohpost
Mara Ziemann und Frederik Görtelmeyer von Rohpost

Vor zwei Jahren gründeten die Alumni Frederik Görtelmeyer und Mara Ziemann die sogenannte „Slow Media“-App „Rohpost“. Mit dieser App wollen die beiden zu einer stressfreien und achtsamen Mediennutzung beitragen. Im Interview haben wir über ihre Idee, die Anwendung von Design Thinking bei der Entwicklung der App und ihre Vision für die Zukunft gesprochen.

Wie entstand die Idee für Rohpost und was hat euch davon überzeugt, sie in die Tat umzusetzen?

Frederik: Angefangen hat es damit, dass wir unzufrieden mit den bestehenden sozialen Medien waren. Mara und ich haben uns im Studium in Berlin kennen gelernt. Nach dem ersten Jahr sind wir beide für eine Weile in eine andere Stadt gezogen. In dieser Zeit ist uns das Kontakt halten sehr schwer gefallen. Ab und zu haben wir uns zu Videotelefonaten verabredet oder über Messenger geschrieben. Aber da wir in unterschiedlichen Zeitzonen gelebt haben und auch sonst einen vollen Alltag hatten, war dafür nicht immer Gelegenheit.

Mara: Auf der anderen Seite wollten wir unser Privatleben auch nicht auf sozialen Netzwerken öffentlich machen. Aber selbst wenn wir ab und zu einen Post geschrieben haben, ist er in der Flut von anderen Neuigkeiten untergegangen, sodass der andere ihn oft gar nicht gesehen hat. Für uns war das der Startpunkt darüber nachzudenken, wie man das Kontakt halten mit digitalen Medien besser machen kann.

Frederik: Für uns war die Masse an Informationen, mit der man auf sozialen Medien konfrontiert ist, eine entscheidende Ursache, an der wir ansetzen wollten. Uns ist aber schnell klar geworden, dass sich dieses Problem nicht nur auf private Kommunikation beschränkt. Man kann sagen, dass Nutzer es grundsätzlich schwer haben, die interessanten und wichtigen Dinge aus dem Internet herauszufiltern.

Mara: Heute können wir uns eigentlich nur noch darauf verlassen, dass Algorithmen in Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken diese Aufgabe für uns übernehmen. Allerdings können Algorithmen eben nicht unterscheiden, was kulturell und ethisch gut oder schlecht ist. Und im Zweifelsfall sind sie sogar bewusst so programmiert, dass sie bestimmte wirtschaftliche Interessen erfüllen, die sich nicht mit denen des Nutzers decken.

Frederik: Was vielen sozialen Medien fehlt, ist ein gesundes Maß. Mit dem Internet haben wir uns daran gewöhnt, dass Informationen nahezu kostenlos und grenzenlos verbreitet werden können. Reduktion und ein gewisser Verzicht fördern aber Kreativität und Kultur. Unsere Idee war deshalb eine App, die ganz bewusst einen Rahmen vorgibt, in dem sich die Kommunikation abspielen kann.

Welche Rolle spielte Design Thinking in der Entwicklung von Rohpost?

Frederik: Wir haben beide Design Thinking an der D-School am HPI studiert und ich denke, dass diese Ausbildung unsere Art zu arbeiten nachhaltig beeinflusst hat. Im Zentrum stand für uns immer, nicht vom Produkt aus zu denken, sondern den Nutzer und sein Bedürfnis in den Mittelpunkt zu rücken. Als wir mit unserem Projekt gestartet haben, stand für uns überhaupt nicht fest, ob am Ende eine App oder etwas ganz anderes dabei herauskommen soll.

Mara: Unser erster Prototyp war zum Beispiel ein Gerät, das man sich ins Wohnzimmer stellen kann. Aber nachdem wir das Businessmodell durchgerechnet und mit potentiellen Herstellern gesprochen hatten, wurde klar, dass wir die geplanten Funktionen anders realisieren mussten. Das Ergebnis war dann das erste Konzept für die Rohpost App.

Frederik: Später haben wir dann sehr viele Interviews mit Nutzern gemacht. Ich erinnere mich an Tage, an denen wir in der Stadt unterwegs waren, um Menschen zu unserer Idee und ihrer Nutzung von sozialen Medien zu befragen. Inzwischen arbeiten wir mit vielen tollen Partnern zusammen, die Beiträge für Rohpost schreiben. Wir betrachten uns als eine Community und legen viel Wert auf eine gute Zusammenarbeit. Wir treffen uns regelmäßig zu Workshops oder Calls, sprechen über die weiteren Pläne und sammeln gemeinsam Ideen.

 

Rohpost App
Rohpost App

Nach welchen Kriterien wählt ihr die Startups und Magazine aus, deren Inhalte ihr auf Rohpost veröffentlicht?

Mara: Die Auswahl der Medienpartner ist für uns eines der wichtigsten Elemente von Rohpost. Wir wollen, dass Nutzer auf der App nur hochwertige und interessante Inhalte finden. Deshalb haben wir mit unseren Partnern gemeinsame Werte entwickelt, die bestimmen, wie wir zusammen arbeiten wollen und welche Maßstäbe wir an die Inhalte auf Rohpost anlegen. Dort steht zum Beispiel drin, dass es bei uns kein Clickbait gibt – also Überschriften und Texte, die darauf ausgelegt sind, möglichst viele Klicks zu generieren.

Frederik: Dazu gehört für uns auch, dass es auf Rohpost keine Fake News oder diskriminierende Inhalte geben kann. Da wir unsere Partner selbst auswählen, können wir darauf genau achten und reagieren, wenn Beiträge nicht unseren Werten entsprechen. Natürlich ist damit auch eine große Verantwortung verbunden. Wir sehen es aber vor allem als eine Chance, guten Inhalten mehr Aufmerksamkeit zu bieten. Im Grunde sind wir damit so etwas wie Galleristen, aber eben für Medien und andere Informationsquellen.

Mara: Ansonsten achten wir bei der Auswahl neuer Partner genau darauf, ob ihre Inhalte diesem Anspruch gerecht werden. Wenn uns auf einer Webseite sofort Werbebanner entgegenspringen und die Texte so wirken, als seien sie nur für die Suchmaschine geschrieben worden, ist das erst mal kein gutes Zeichen. Zum anderen schauen wir auch, ob die Medien inhaltlich zu uns passen. Unser Schwerpunkt liegt auf Themen, die für den Leser persönlich relevant sind: Zum Beispiel Fitness, Kultur, Reisen oder Gesellschaft.

 

Mara und Frederik launchen Rohpost

 

Welches Feedback habt ihr bisher von Nutzer*innen erhalten?

Mara: Am Anfang waren viele Menschen skeptisch, als wir ihnen erzählt haben, dass wir ein neues soziales Medium starten. Viele waren der Ansicht, dass es schon genügend Plattformen gibt. Andere haben sich darüber gewundert, dass wir die Kommunikation auf Rohpost begrenzen. Bei uns können Nutzer zum Beispiel nur einmal am Tag eine Nachricht an ihre Freunde schicken.

Frederik: Wir haben uns für diese Entschleunigung entschieden, um den wichtigen Informationen mehr Raum zu geben. Inzwischen bekommen wir von vielen Nutzern sehr positive Rückmeldung dazu. Viele fühlen sich von sozialen Medien überfordert und stehen ihnen auch sonst eher kritisch gegenüber. Sie haben Lust etwas anderes auszuprobieren.

Mara: Auf der anderen Seite bekommen wir auch aus der Medien-Branche sehr positives Feedback. Man beobachtet mit Sorge, dass man immer stärker von den sozialen Netzwerken abhängig wird, um Aufmerksamkeit für die eigenen Inhalte zu bekommen. Entsprechend ist das Interesse an Rohpost sehr groß. Aktuell kommen wöchentlich neue Partner zu unserer Community hinzu.

Was ist eure Vision für die Zukunft? Erhofft ihr euch, mit eurem Konzept langfristig auch andere Anbieter inspirieren zu können oder versteht ihr euch bewusst als Alternative?

Frederik: Wir verstehen Rohpost als eine Alternative, die auf nachhaltige Kommunikation und hochwertige Inhalte setzt. Möglich ist das, weil wir uns für ein anderes Geschäftsmodell entschieden haben. Bestehende soziale Netzwerke erwirtschaften einen Großteil ihres Umsatzes, indem sie die Daten der Nutzer weiterverwenden und Werbung zeigen. Ihr wirtschaftliches Interesse richtet sich deshalb nach den Unternehmen, die für ihre Dienste bezahlen. Die Medien gehen bei dieser Rechnung oft leer aus.

Mara: Unser Ziel ist stattdessen ein Freemium-Modell einzuführen. Das heißt: Die Grundfunktionen der App sind und bleiben umsonst. Aber für den vollen Zugang zu allen Funktionen und Inhalten wird man in Zukunft ein Abo mit einem fairen, monatlichen Preis benötigen. Auf diese Weise können wir unsere Nutzer auch weiterhin ins Zentrum stellen. Nur wer mit der App vollständig zufrieden ist und darin einen echten Mehrwert sieht, wird auch bereit sein dafür zu zahlen.

Frederik: Außerdem können wir so in Zukunft unsere Medienpartner auch vergüten. Plattformen wie Netflix haben gezeigt, dass sich dieses Modell gut eignet, um interessante Inhalte zu fördern. Wir denken, dass das gleiche Modell auch für soziale Medien funktioniert. Bis es soweit ist, kann man Rohpost aber komplett kostenlos mit einem iOS oder Android Handy nutzen.

Fotos: Rohpost

Das Interview führte Pauline Junginger.