Design Thinking für soziale Innovationen

Lösungen für soziale Probleme: HPI D-School-Alumna Martina Zelt arbeitete mit Expertenagenturen zusammen, um Design Thinking in der Feldforschung in Ghana anzuwenden und ein Sanitärproblem auf innovative Weise anzugehen.

 

Design Thinking Project in Ghana

 

Bei interkulturellen Projekten stellt sich immer eine Frage: Verstehen wir wirklich die Kultur und die Bedürfnisse der Menschen, auf die sich unsere Forschung konzentriert?

Diese Frage wird umso wichtiger, wenn es sich um ein sensibles Thema handelt. Dies war der Fall bei dem Projekt von Archipel&Co und seinem Projektpartner Purpose House. Ziel war es, die Einführung von Innovationen im Sanitärbereich zu unterstützen und das Ziel Nummer 6 der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen: sanitäre Grundversorgung.

Um die Bedürfnisse, Bestrebungen und Entscheidungen von Nutzer*innen in Ghana wirklich zu verstehen, planten Justin DeKoszmovszky (geschäftsführender Partner von Archipel&Co), Laura Arribas (Senior Consultant bei Archipel&Co) und Vittorio Cerulli (Gründer von Purpose House) eine Feldforschung in Ghana.

Zeit als Hindernis - oder als treibende Kraft für Innovation?

Bei dem Projekt traten verschiedene Herausforderungen auf. Das Team musste nicht nur den interkulturellen Kontext berücksichtigen, auch das Thema selbst war sehr heikel. Vor allem aber hatten Vittorio Cerulli und sein Team nur neun Tage vor Ort Zeit, um ein qualitatives Verständnis des Themas zu gewinnen und eine klare Orientierung zu geben, wie das Problem gelöst werden kann. Normalerweise dauern ethnographische Feldforschungsreisen dieser Art bis zu zwei Monate. Wie also hat das Team es geschafft, diese Forschung in nur neun Tagen durchführen?

                                   

Martina Zelt at HPI D-School
Martina Zelt während ihres Design Thinking-Studiums an der HPI D-School in Potsdam.

Vom Design Thinking Basic Track auf das Feld: HPI D-School-Alumna Martina Zelt, Purpose Strategist

Während ihres Design Thinking-Studiums an der HPI D-School begannen Martina Zelt und Purpose House ihre Zusammenarbeit am Impact Hub in Berlin. Als Martina Zelt zum ersten Mal über Design Thinking sprach, war Vittorio, der mehr als zehn Jahre Erfahrung in den Bereichen Forschung und Innovation hat, sofort von dem Konzept fasziniert: "Was mein Interesse von Anfang an geweckt hat, war, dass Design Thinking ergebnisorientiert ist, dass es sehr pragmatisch zu sein scheint und dass es etwas tut, was ich gerne tue: Es stellt den Menschen in den Mittelpunkt."

Als Vittorio hörte, dass es möglich ist, innerhalb sehr kurzer Zeit innovative Ergebnisse zu entwickeln, war er fest entschlossen, Design Thinking in seinen qualitativen Ansatz einzubetten und sich mit dieser sanitären Herausforderung auseinanderzusetzen.

Das Projekt bekam wertvolle Unterstützung von Archipel&Co, einem Team mit jahrzehntelanger Erfahrung, das seinen Kunden dabei hilft, einkommensschwächere Bevölkerungsschichten in Schwellenländern zu verstehen und dort nachhaltig zu wirtschaften. Das Ziel für Justin und Laura, die die den Forschungsansatz entworfen haben, war es, qualitative und quantitative Erkenntnisse für die Markteinführung einer sanitären Innovation zu liefern.

Als Teil der Feldphase erstellten Martina und Vittorio einen detaillierten Plan für die zur Verfügung stehenden neun Tage. "Ich musste sicherstellen, dass alle beteiligten Teammmitglieder und insbesondere Vittorio, der den Design Thinking-Prozess in diesem Bereich leitete, wirklich das 'Warum' hinter jedem der Design Thinking-Schritte verstanden. Denn das ist es, was einen für unerwartete Veränderungen im Feld wappnet", sagt Martina, die selbst nicht an der Feldarbeit teilnehmen konnte.

 

Field research in Ghana
Laura (Mitte) und das interkulturelle Team arbeiten zusammen, um ein Sanitärproblem innovativ zu lösen.

Innovation und Mitgestaltung in Ghana

"Dieses Projekt war etwas Besonderes", erinnert sich Laura Arribas von Archipel&Co. "Von Anfang an war klar, dass alle im Team gleichermaßen involviert waren und die Aufregung war spürbar."

Das Kernteam war international und multidisziplinär zusammengesetzt - eine perfekte Voraussetzung für Design Thinking: Laura (ursprünglich aus Spanien) und Justin (ursprünglich aus den Vereinigten Staaten), Vittorio (ursprünglich aus Italien), die ghanaische Forschungsgruppe El-Parah mit Reuben (Projektleiter), Henry (Rekrutierer) und Jumima (Übersetzerin), Richard und Rachel von der ghanaischen NGO "Total Family Health Organization".

Teamdynamik auf den Kopf gestellt

Was sich auf den ersten Blick in Bezug auf die Teamarbeit änderte, war der "Check-in" mit dem Team zu Beginn eines Tages und der "Check-out" am Ende - zwei Schritte, die beim Design Thinking als sehr wichtig erachtet werden. "Beide Schritte machten einen enormen Unterschied für die Forschung und insbesondere für die Teamdynamik", sagt Vittorio. Der Check-in war besonders wichtig für die menschliche Verbindung im Team, während der Check-out für unsere Reflexion und Synthese hilfreich war."

Bei typischen Exkursionen hatte Vittorio die Rolle Projektleiters - normalerweise teilte er dem Team seine Interpretation erst bei der Nachbesprechung mit. "Es ist, als ob der Forscher fast magisch aus zufälligen Gesprächen Einsichten schafft - und selten konnten wir sehen, wie dies geschieht. Doch dieses Mal haben wir es gemeinsam getan. Ich schloss alle mit ein, da ich ihre Einsichten und ihr Engagement für den gesamten Design Thinking-Prozess brauchte. Dadurch war das Team viel engagierter; es war auch ihr Projekt."

 

Interview with religious leaders in Ghana
Vittorio Cerulli (links) nach einem Interview mit religiösen Führern.

Brücken bauen - interkulturelle Zusammenarbeit mit Erfolg

Die Rolle von Jumima, die ursprünglich nur als Übersetzerin vorgesehen war, wandelte sich während des Projekts vollständig. "Als sie merkte, dass wir ihre Meinung (und nicht nur ihre Übersetzung) schätzten und dass wir wollten, dass sie Teil des Teams ist, hat sie sich wirklich geöffnet", sagt Vittorio. Auf diese Weise hat sie viel mehr getan, als nur die Sprache zu übersetzen, und in der Tat konnte sie die interkulturelle Brücke auf viel einfühlsamere Weise bauen. "Von Tag zu Tag konnte man sehen, wie ihr Selbstvertrauen stieg. Ohne die Eigenverantwortung, die sie übernommen hat, wäre das gesamte Team nie so erfolgreich gewesen", sagt Vittorio.

Die Interviews: Wie spricht man über eine sanitäre Situation?

Um die Situation in der Gesundheitsversorgung und das Problem des Stuhlgangs unter freiem Himmel zu verstehen, musste das Team mit vielen verschiedenen Personen und Interessengruppen sprechen. Der Schwerpunkt lag dabei auf den verschiedenen Zielgruppen. Sowohl Frauen als auch Männer waren von großem Interesse, wobei die Betonung auf ihrer Rolle innerhalb der Familie, ihren Zukunftsträumen, ihren Ängsten, aber auch ihren sanitären Bedürfnissen und ihrer Entscheidungsbefugnis innerhalb der Familie lag.

Darüber hinaus waren die Vermieter eine interessante Zielgruppe. Da Ghana ein tief religiöses Land ist, das eine kollektive Kultur lebt, wollte das Team auch mit religiösen Führern, Ältesten und Dorfführern sprechen, um das Thema weiter zu verstehen.

Empathie: Die Leitlinie jeder qualitativen Forschung, besonders für dieses Projekt

In den ersten beiden Phasen des Design Thinking-Prozesses "Verstehen" und "Beobachten" ist immer ein hohes Maß an Empathie erforderlich. In diesem Projekt war Empathie wegen der hochsensiblen Natur des Themas besonders wichtig. "Es gab auch einige angespannte Situationen. Wir achteten darauf, uns in die Situation des Nutzers hineinzuversetzen und begründeten unsere Fragen oft damit, dass wir keine Ghanaer sind und das Thema nicht gut genug verstehen. Wir fanden auch Analogien zwischen den Dingen, die in unserem Leben geschehen, und den Dingen, die in ihrem Leben geschehen", sagte Vittorio.

 

Field research in Ghana
Vittorio Cerulli (links) bei der Ko-Kreation in Ghana.

Coaching aus der Ferne in seiner besten Form

Während des Projekts geschah etwas, das Vittorio später "die zweite Welle des Vertrauens" nannte. Seine erste Welle des Vertrauens in Design Thinking war, als Martina die Methode und die Denkweise vorstellte. Dann, in der Mitte des Projekts, sprach er mit Martina und schickte ihr die Zwischennotizen und einen Teil der Synthese.

"Als ich ihre Kommentare zur Arbeit erhielt, erlebte ich die zweite Welle des Vertrauens. Ich verstand, dass einige der Schritte innerhalb der Methode genau befolgt werden mussten, und ich bemerkte den Unterschied, den sie dabei machte", sagte Vittorio.

Die wichtigste Erkenntnis: Die Rolle der Frau bei der Behandlung von Sanitärfragen

Eine der wichtigsten Erkenntnisse war die Rolle, die Frauen bei der Bewältigung des Problems mit den sanitären Einrichtungen spielen. Frauen sind diejenigen, die das stärkste Bedürfnis nach einer hygienischen Sanitärlösung haben und sie sind am stärksten betroffen, wenn dies nicht der Fall ist. Gleichzeitig sind sie meist nicht diejenigen, die die letzte Entscheidung treffen dürfen. Dies war immer Sache des Ehemannes, auch wenn die betroffenen Frauen über eigenes Geld verfügen. Es liegt einfach nicht an ihnen, weil die Frage der sanitären Versorgung in Ghana als Pflicht des Mannes angesehen wird.

Prototyping: "Wie haben wir das in nur 20 Minuten geschafft?"

"Als es um Ideenfindung und Prototyping ging, war es fast so, als sei die Stunde der Wahrheit gekommen", erinnert sich Vittorio. Nach all den Interviews und der Sammlung von Erkenntnissen begannen wir alle mit einer kreativen Ideenfindung. Wirklich jeder war beteiligt, und wir sammelten neue und umsetzbare Ideen."

"Um ehrlich zu sein, erwartete ich einen langes und langweiliges Dokument mit viel Text... stattdessen gab es Geschichten über Menschen, Bilder und Prototypen. Es hat Spaß gemacht", resümiert Rachel den Tag.

Auch Justin von Archipel&Co fügte hinzu: "Ich habe schon an anderen Prototyping-Sessions teilgenommen, aber diese war besonders kraftvoll. In nur wenigen Stunden entwickelten wir drei vielversprechende Prototypen, die Ergebnisse unserer Forschung auf sinnvolle Weise widerspiegelten." Jumima aus El-Parah ergänzt: "Und es war nicht einmal notwendig, alles wieder und wieder zu wiederholen. Das Team war sich schon einig".

 

Interviewed women in Ghana
Laura (im weißen Shirt) interviewt eine Gruppe Frauen. Diese Gespräche lieferten dem Team wichtige Erkenntnisse für die Lösung der Herausforderung.

Das Ergebnis: Frauen ermächtigen

Einer der drei Prototypen befasste sich mit der Rolle der Frauen in der sanitären Grundversorgung: Ein Faltblatt mit Informationen und Anleitungen, wie sie das Thema sanitäre Grundversorgung ihren Ehemännern nahe bringen, wie sie über ihre Bedürfnisse sprechen und finanziell tragfähige Lösungen vorschlagen können.

"Wir haben gesehen, wie Frauen durch die Bereitstellung bestimmter Informationen befähigt werden, für ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihrer Familien einzutreten", sagt Vittorio.

Design Thinking: Ein Ansatz zur Lösung sozialer Probleme

Was Vittorio beeindruckte, war auch die Schnelligkeit des Prozesses. Normalerweise dauert es etwa zwei Monate, um von der Forschung zu Erkenntnissen und dann zum Prototyp zu gelangen. Mit Design Thinking geschah dies alles in nur wenigen Tagen, wobei die Ergebnisse umsetzbar und relevant waren.

"Das kann man mit Sicherheit sagen: Der Innovationsprozess hat funktioniert", sagt Vittorio, Gründer von Purpose House. "Und wenn es um qualitative Forschung oder allgemein um Projekte geht, bei denen ich schnell von der Erkenntnis zum Handeln kommen muss, werde ich Design Thinking ganz sicher wieder anwenden.“

Über Archipel&Co:

Archipel&Co konzentriert sich auf eine Mission: Entwurf, Test und Skalierung von Geschäftslösungen für soziale Herausforderungen. Unser Ziel ist es, maßgeschneiderte Antworten und operative Lösungen für unsere Kunden zu entwickeln. Wir tun dies, indem wir neue Perspektiven für soziale Verantwortung und Themen wie soziale Innovation und marktbasierte Ansätze für soziale Fragen, kooperative Wirtschaft und soziale Auswirkungen, Beziehungen zu Interessengruppen und Gemeinschaften eröffnen. Erfahrt mehr: https://archipel-co.com/

Über Purpose House:

Purpose House ist ein Kollektiv von Markenexperten, Nachhaltigkeitsexperten, Designern und Strategen, denen die Welt, in der wir leben, am Herzen liegt. Ihre Mission ist es, Marken dabei zu helfen, eine lang anhaltende positive Wirkung und Anziehungskraft zu erzeugen, indem sie mit einem starken Zweck und kultureller Relevanz handeln - über das, was sie tun, wie sie leben und was sie sagen.

Erfahrt mehr: https://www.purposehouse.co.uk/

Über Martina Zelt:

Martina ist Kommunikationsprofi und Purpose Strategist mit Berufserfahrung in verschiedenen interkulturellen Umgebungen und einem Hintergrund in Arbeits- und Organisationspsychologie. Ihre Leidenschaft, eine positive Wirkung zu erzielen, indem sie die Kraft des Geschichtenerzählens, Empathie und Innovation einsetzt, hat sie dazu bewogen, sich für den Design Thinking Basic Track am HPI zu bewerben. Nachdem sie ihre Fähigkeiten um Design Thinking erweitert hat, ist sie nun noch besser in der Lage, sinnvolle Probleme auf innovative Weise zu lösen.

Fotos: Justin DeKoszmovszky