Auf der Suche nach der eigenen Identität

HPI-Studierende helfen Wohnungslosen mit Design Thinking

Verliert ein Mensch die eigene Wohnung, ist das häufig nur der Anfang einer weitreichenden Entfremdungs-Spirale: Der Respekt der Mitmenschen verschwindet genauso wie die Aussicht auf politische Teilhabe, bis letztlich auch die eigene Identität infrage steht.

Fünf Studierende der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut (HPI) haben gemeinsam mit dem zu den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gehörenden Unternehmensbereich „Bethel im Norden“ und über 30 Wohnungslosen und ehemalige Wohnungslosen Strategien entwickelt, um dieser Gruppe ihre eigene Stimme zurückzugeben – und damit die Möglichkeit, für die eigenen Interessen gemeinsam einzutreten. Beim diesjährigen Wohnungslosentreffen in Freistatt, zu dem Menschen aus ganz Europa angereist sind, konnten einige Ideen bereits umgesetzt werden.

„Die Gruppe der Wohnungslosen ist sehr heterogen. Dadurch fällt es schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden, sich auf klare Ziele und Forderungen zu einigen“, erklärt Wissenschaftlerin Dr. Claudia Nicolai, die das Projekt am HPI entwickelt hat. Allein in Deutschland haben Schätzungen zufolge knapp eine halbe Million Menschen keinen festen Wohnsitz. „Ziel des Projekts war es, den Wohnungslosen verschiedene Strategien zur Verfügung zu stellen, mit denen sie ihre Identität ausdrücken können, sich selbst politisch und sozial organisieren können“, so Nicolai. Für den nachhaltigen Erfolg sei ausschlaggebend gewesen, diese Strategien zusammen mit den Wohnungslosen im Rahmen des Projekts zu entwerfen und zu testen.

„Im ersten Schritt haben wir ‚Goldene Prinzipien‘ formuliert, die den Umgang untereinander regeln sollen – Ehrlichkeit und Toleranz stehen hier ganz oben, aber auch der Grundsatz, dass Rückschläge akzeptiert werden müssen, ist wichtig“, beschreibt HPI-Studentin Ines Mayan die Vorgehensweise. Das Projektteam habe außerdem „Wer bin ich“-Karten entworfen, damit die Wohnungslosen sich wieder ihres eigenen Wissens und Könnens bewusst werden: „Wohnungslose Menschen stehen unter enormer Belastung, sowohl in psychischer als auch in sozialer Hinsicht. Unsere Gesellschaft sieht oft vor allem ihr Scheitern, für das sie die Wohnungslosen allein verantwortlich macht, und übersieht dabei die Potentiale und persönlichen Geschichten dieser Menschen – die Betroffenen leiden darunter und es fällt Ihnen schwer, ihre Kompetenzen zu nutzen“, so Mayan.

Das studentische Team hat mit den Wohnungslosen darüber hinaus Rollenkarten entwickelt, die im Rahmen von Versammlungen eingesetzt werden können. Mithilfe festgelegter Moderatoren und Protokollanten sollen Probleme systematisch diskutiert und Handlungsstrategien abgeleitet werden. Schließlich sollen Strategien für das Erzählen von Geschichten den Wohnungslosen dabei helfen, ihre Ideen in die Gesellschaft einzubringen: „Bei dem Wohnungslosentreffen in Freistatt hat ein Teilnehmer beispielsweise alles gefilmt“, so Mayan. Die dadurch geförderte Vernetzung untereinander sei ihren Worten nach die Voraussetzung dafür, Projekte zielgerichtet umzusetzen und für die eigenen Interessen gemeinsam aktiv zu werden.