13/01 - "Am Ende kommt es auf die eigene Leistung an"
Christoph Meinel (47): einst DDR-Hilfsarbeiter, jetzt Internet-Professor
mit Weltgeltung
Trier. "Mein Elternhaus hat mir die Kraft gegeben, in der DDR
Außenseiter sein zu können", sagt der Meißener Pfarrerssohn, der die
Mathematik so lieben lernte, "weil es da politisch nichts zu diskutieren
gibt". Das brillierende deduktive Denken, das letztlich nur in einem Ja
oder Nein münden kann, hat den 47-Jährigen, der als Schüler schon auf dem
Siegertreppchen der Mathe-Olympiade in der Region Berlin stand, an die
Informatik herangeführt: Sie ist für Professor Christoph Meinel, den heutigen
Leiter des Trierer Instituts für Telematik, einer mit der
Fraunhofer-Gesellschaft verbundenen Spitzenforschungseinrichtung, "die
Anwendung des Ganzen".
"Geprägt hat mich, dass ich mich damals nur auf meine eigene Leistung
verlassen konnte", verrät Meinel, der in DDR-Zeiten wegen seines
christlichen Hintergrunds manche Nachteile hinnehmen musste. Zunächst gab es
Schwierigkeiten, überhaupt das Abitur abzulegen. Dann wurde er nach der
Reifeprü-fung im Jahr 1973 aus politischen Gründen erst einmal nicht zum
Studium zugelassen. Er entschloss sich, erst einmal Facharbeiter für
Elektromechanik zu werden. Innerhalb von 12 Monaten Tätigkeit als Hilfsarbeiter
qualifizierte sich Christoph Meinel zum Facharbeiter. "Im Schichtdienst
Sicherungen für Großfirmen zu produzieren, das war die Aufgabe meiner
Abteilung", schaut Meinel auf seine Zeit bei den früheren Stalinwerken, den
Elektro-Apparate-Werken in Berlin-Treptow zurück.
Nebenberuflich übernahm der ausgebildete Pianist und Kontrabassist mit 18
Jahren die pädagogische und organisatorische Leitung des damaligen
"Rundfunk Musikschul-Orchesters". Das von führenden Dirigenten
geleitete zentrale DDR-Jugendorchester mit fünf Dutzend jungen Musikern im
Alter zwischen 12 und 18 Jahren wurde auch Dank Christoph Meinels beharrlichem
Wirken ein "Aushängeschild". Es ist noch heute als
Bundesmusikschulorchester aktiv.
1974 klappte es nach Einsprüchen der Kirchenleitung dann doch mit der
Aufnahme des Mathematikstudiums mit Nebenfach Informatik an der
Humboldt-Universität zu Berlin. Dass er nach dem Diplom 1979 (Thema
"Umwelten und Automaten in Umwelten") dann als einziges
Nicht-SED-Mitglied ein Forschungsstudium in Mathematik und Informatik beginnen
und nach der Promotion 1981 an seiner Uni wissenschaftlich tätig sein konnte,
erklärt Meinel sehr einfach: Man habe ihn als lebendes Vorzeige-Beispiel für
"praktizierte sozialistische Demokratie" eingesetzt.
Meinels Dissertation und seine 1988 in Englisch vorgelegte
Habilitationsschrift befassten sich übrigens mit der Komplexitätstheorie und
dort mit der Erforschung des Mindestressourcenaufwandes zur Lösung schwieriger
Berechnungsprobleme aus dem Alltag.
"Nach der Wende habe ich dann zwar sofort eine Stelle als
wissenschaftlicher Oberassistent an meiner Uni bekommen, habe mich aber aus
Enttäuschung über die an der Humboldt-Universität zunächst sehr gebremste
Bereitschaft zur Erneuerung schnell von Berlin gelöst", lässt Meinel die
alten Zeiten Revue passieren. Die Familie - Ehefrau Ivana, eine Tschechin,
sowie Tochter Julia und Sohn Martin - kam mit: zunächst nach Paderborn, wo der
Ehemann und Vater im Sommersemester 1991 an der Universität/Gesamthochschule eine
C4-Lehrstuhlvertretung für Praktische Informatik übernahm.
An die Mosel verlagerte sich der Lebensmittelpunkt der Familie, als
Christoph Meinel am 1. April 1992 zum C4-Professor für "Theoretische
Konzepte und neue Anwendungen der Informatik" an der Universität Trier
berufen wurde. 1996 gab es eine weitere Berufung: Professor Christoph Meinel
wurde stellvertretender Direktor des Instituts für Techno- und
Wirtschaftsmathematik in Kaiserslautern und mit dem Aufbau dessen Trierer
Bereichs betraut. Daraus entwickelte sich das "Institut für
Telematik", dessen Direktor Meinel nun seit dem 1. Januar 1998 ist.
In einem großen Kraftakt hat Meinel die mit der Fraunhofer-Gesellschaft
verbundene Trierer Institution zu einem Spitzenforschungs- und
Entwicklungszentrum gemacht. "Bei unseren Arbeiten geht es vor allem um
die Bereitstellung von Werkzeugen zur Aufbereitung des im weltweiten Netz
verfügbaren Wissens, wobei wir den Sicherheitsproblemen besondere Beachtung
schenken", nennt Meinel die Schwerpunkte. Sein als eingetragener Verein
verfasstes gemeinnütziges und außeruniversitäres Institut ist in seiner
Ausrichtung in Deutschland einmalig. Nach drei Jahren Arbeit kann die fast
50-köpfige Mannschaft schon auf zwei Patente, zwei Promotionen und fast 70
Fachbeiträge zu internationalen Konferenzen verweisen.
"Mental fühle ich mich eher der Aufbaugeneration verbunden, die im
Westen für das Wirtschaftswunder gesorgt hat", stellt der im Osten
aufgewachsene Mitt-Vierziger mit einem Seitenblick auf seine Altersgenossen
fest: "Viele Leute haben heute einen hohen Anspruch ans Leben. Leider
deckt sich dieser aber nicht mit entsprechender Leistungsbereitschaft".
Wer mit Meinels hohem Denk-, Sprech- und Arbeitstempo mitkommen will, muss
besonderes Format haben. "Hohe Leistungsbereitschaft, Begeisterung für
anspruchsvolle Forschungsaufgaben sowie Ehrgeiz und Ausdauer sollten die
mitbringen, die bei uns tätig werden wollen", beschreibt der Professor das
Profil derer, die er der Wissenschaft und später der Wirtschaft als diejenigen
Spitzenkräfte zuführen will, an denen es in Deutschland nach wie vor mangelt.
"Wir arbeiten eben wie ein 'Durchlauferhitzer' und bereiten die
akademische Elite unseres Fachs durch anwendungsbezogene Projekte schnell und
gezielt auf eine Tätigkeit als Führungskraft der Wirtschaft vor", betont
Meinel. Erklärtes Ziel seiner Trierer "Kaderschmiede" ist es, künftig
noch mehr begabte, neugierige junge Leute dafür zu begeistern,
wissenschaftliche Höchstleistungen auf dem Schlüsselgebiet der Telematik anzustreben.
Ziel sind anwenderfreundliche und praxistaugliche Hightech-Lösungen.
"High Speed" fährt der High-Tech-Forscher und -Entwickler Meinel.
Und lebt selbst vor, was er von anderen verlangt. Sein Literaturverzeichnis
weist zum Beispiel neun Bücher und mehr als 120 wissenschaftliche
Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften und bei internationalen
Kongressen auf. Thema von Meinels wohl wichtigster Monographie ist die
Bereitstellung und Untersuchung von Datenstrukturen und Algorithmen für den
Entwurf und die Verifikation mikroelektronischer Chips. "Nebenbei"
ist Meinel noch Direktor des Zentrums für Wissenschaftliches Elektronisches
Publizieren (WEP) an der Universität Trier und Mitglied mehrerer Aufsichtsräte
und internationaler Konferenzprogramm-Kommittees. Auch auf Landesebene
engagiert sich Meinel: Von 1996 bis 99 war er Mitglied im Technologiebeirat von
Rheinland-Pfalz und seit 2000 ist er Gründungsvorsitzender der "Initiative
der Software- und Serviceanbieter Rheinland-Pfalz".
Entspannung findet der vielbeschäftigte Telematik-Professor in seinem
Gusterather Haus bei einem Glas Wein und guter Musik. "Leider fehlt die
Zeit zum Üben", bedauert der Kontrabassist, "so dass ich mich auf den
passiven Musikgenuss beschränken muss". Ehefrau Ivana (46), gelernte Germanistin
und Übersetzerin z.B. von Pan Tau, organisiert Sprach- und Kulturkurse für
ausländische Studenten in Trier. Die Informatik-Leidenschaft ihres Mannes teilt
sie ebenso wenig wie Tochter Julia (22), die Medizin studiert, und Sohn Martin
(19), der jetzt erst einmal seinen Zivildienst absolviert und "dann mal
schaut". Aber Christoph Meinel hat es ja gelernt, sich als Außenseiter
alleine durchzuschlagen...