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22.06.2023

"Die Solidarität sollte nicht am letzten Juni-Tag aufhören"

Interview mit Lisa Baumann, Gleichstellungsbeauftragte der Digital-Engineering-Fakultät

Wie sieht die Arbeit einer Gleichstellungsbeauftragten aus? Und warum ist der Begriff "Frauenförderung" oft zu kurz gedacht? Im Interview erzählt Lisa Baumann, wie sie zu ihrem Amt gekommen ist, was die größten Herausforderungen bei der Gleichstellungsarbeit sind und was sie vom Pride Month und Regenbogen-Logos auf Social Media hält.

HPI: Wie bist du dazu gekommen, dich als Gleichstellungsbeauftragte an der DEF zu engagieren? Warum liegt dir das Thema persönlich am Herzen?

Lisa Baumann: Ich wurde tatsächlich von einer ehemaligen Gleichstellungsbeauftragten dazu überredet. Ohne Zuspruch hätte ich mir das Amt wohl nicht zugetraut.

Ich bin natürlich selbst eine Frau, die Informatik studiert, und falle damit in meinen eigenen Zuständigkeitsbereich. Menschen in meinem Umfeld waren oft überrascht, dass ich Informatik studieren möchte und ich hatte sehr wenige Vorbilder, ging also mit dementsprechend vielen Zweifeln ins Studium. Ich möchte, dass es für andere Menschen leichter wird, ihren Platz in der Informatik zu finden. Ich kann negative Erfahrungen, die sie erlebt haben, nicht rückgängig machen, aber ich kann dazu beitragen, dass sie hier Vorbilder haben und dass sie sich sicher und willkommen fühlen.

Für queere Menschen kann das zum Beispiel heißen, dass ich beim Prozess der Namensänderung unterstütze, dass ich aktiv die Zusammenarbeit mit möglichst vielen queeren HPI-ler*innen suche und dass ich Fakultätsangehörige sensibilisiere.

HPI: Was sind im universitären Kontext die größten Herausforderungen bei der Gleichstellungsarbeit?

Lisa: Darüber könnten wir jetzt sehr lange diskutieren. Ich kann aber ein paar Punkte nennen. In Bezug auf die Gleichstellung queerer Menschen ist das sicherlich die Annahme, dass es sie an der Universität nicht gibt oder ihre Identität hier keine Rolle spielt.

Nicht-binäre und trans Menschen werden aufgrund von äußeren Zuschreibungen falsch addressiert, was sehr unangenehm und verletzend sein kann. Oft passiert das unbeabsichtigt, aber ich habe auch schon erlebt, dass Menschen sich einfach weigern, andere richtig anzusprechen.

Noch zu oft wird nicht über Geschlechterbinarität hinausgedacht und diese wird physisch, zum Beispiel in Toilettenräumen, oder in Ansprachen wie “Liebe Kolleginnen und Kollegen” zementiert.

Es wird von Frauenförderung gesprochen, aber das ist oft zu unkonkret. Queere Frauen können auf viele Barrieren stoßen, die in diesem Begriff nicht mitgedacht werden. Da geht es auch um die Möglichkeit für trans Frauen, ihren Namen und Geschlechtseintrag offiziell an der Universität anpassen zu lassen. Manche fragen sich vielleicht, warum sexuelle Orientierung an der Hochschule eine Rolle spielen sollte, aber das tut sie schon längst. Wenn beim Thema familiengerechte Hochschule nur heterosexuelle Familienkonstellationen abgebildet werden. Wenn Schwangerschaft thematisiert wird, aber nicht Adoption. Wenn Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen nicht offen über ihre Partner*innen sprechen können, aber heterosexuelle Menschen schon.                 

Es ist eine Stresssituation, sich in einem Umfeld zu bewegen, in dem man sich immer wieder erklären muss, in dem Menschen, die einer Mehrheit angehören, es sich herausnehmen, auf die Bedürfnisse von Menschen in der Minderheit keine Rücksicht zu nehmen. Ein Umfeld, in dem man unsichtbar ist. 

Wenn es zu Diskriminierung kommt, gibt es außerdem nicht immer konkrete Ansprechpersonen. Es gibt an Hochschulen nicht immer Menschen, die sich für queere Menschen einsetzen und Räume für sie schaffen. An immer mehr Universitäten gibt es aber Queer-Referate in den AStAs, queere Hochschulgruppen und Netzwerke. Das ist eine wichtige Entwicklung. 

HPI: Geht deine Gleichstellungsarbeit an der DEF über Frauenförderung hinaus? (Stichwort: Geschlechterinklusivität, Gender Minorities) Wenn ja, inwiefern?

Lisa: Das ist eine Frage, die mir tatsächlich super oft begegnet, auch weil viele Menschen, nicht nur Frauen, geeignete Ansprechpersonen suchen.

Die Gleichstellungsbeauftragte unterstützt nach dem Brandenburgischen Hochschulgesetz bei allen Angelegenheiten an der Fakultät, welche die Gleichstellung von Männern und Frauen (sprich: Geschlechtergleichstellung) betreffen. Diese Definition ist natürlich sehr binär und wird von vielen Gleichstellungsbeauftragten, auch von mir, in unserer Arbeit auf alle geschlechtlichen Minderheiten erweitert.

Ich habe meine aktuelle Amtszeit damit begonnen, dass ich die Studentinnen-Telegram-Gruppe und die Studentinnen-Vernetzungstreffen für alle FLINTA* Personen geöffnet habe. Dazu gehörte aber nicht nur eine Umbenennung, sondern ich musste zum Beispiel auch überlegen, wie wir mit Pronomen umgehen und ob Angebote, die ich in der Gruppe teile, auch für Menschen relevant sind, die keine Frauen sind. Daran arbeite ich immer noch. Man kann eben nicht einfach sagen, ja, ihr seid hier natürlich auch willkommen, sondern muss aktiv etwas ändern, damit Menschen das Gefühl haben, dass es auch ein Ort für sie ist.

HPI: Was hältst du vom Pride Month und davon, dass viele Unternehmen und Organisationen die Logos ihrer Social-Media-Profile in Regenbogenfarben einfärben, um ihre Solidarität zu bekunden?

Lisa: Der Pride Month ist, nicht zuletzt wegen seiner historischen Bedeutung für den Kampf um queere Rechte, sehr wichtig. Diese Zeit ist ein guter Anlass, um sich daran zu erinnern und gleichzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass viele Ziele queerer Bewegungen noch nicht umgesetzt sind. Die Solidarität sollte aber nicht am letzten Juni-Tag aufhören. Queere Menschen leben auch den Rest des Jahres in einer Welt, die sie noch zu oft diskriminiert, ausgrenzt und ignoriert, und besonders dann brauchen sie nicht-queere Unterstützung.

Für mich persönlich sagen Regenbogenfarben auf Social Media wenig über die tatsächliche Einstellung eines Unternehmens oder einer Organisation aus. Mir ist eher wichtig, was darüber hinaus getan wird. Unterstützt die Organisation queere Projekte zum Beispiel finanziell? Nutzt sie die eigene Reichweite, um queeren Menschen und ihren Anliegen eine Plattform zu geben? Wie reagiert sie auf Kritik aus queeren Communities?

Ich finde es auch aussagekräftiger, wenn Unternehmen und Organisationen aktiv werden, ohne dass sie selbst davon direkt profitieren (etwa durch den Verkauf einer Regenbogenkollektion oder ein gutes öffentliches Image). Zum Beispiel geht es auch darum, einen guten Arbeitsort für queere Menschen zu schaffen und queere Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, fair zu bezahlen.

Leider kommt es noch zu oft zu Rainbow Washing, das heißt, dass mit queeren Symbolen Profit gemacht oder das Image gebessert wird, aber queeren Menschen hilft das langfristig eigentlich überhaupt nicht.

Liebe Lisa, wir danken dir für das Interview!