Hasso-Plattner-Institut25 Jahre HPI
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02.08.2023

Wie viel Mathe brauche ich für ein Informatikstudium am HPI?

Interview mit Dr. Timo Kötzing

Wer zum Wintersemester sein Informatikstudium am Hasso-Plattner-Institut (HPI) startet, steht vor der Frage: Werden meine Mathematik-Kenntnisse aus der Schule ausreichen? Damit sich alle Studienanfänger:innen gut vorbereiten können, bietet das HPI auf seiner kostenlosen Lernplattform openHPI ab dem 13. September einen vierwöchigen Mathe-Vorkurs an. Mit Kursleiter Dr. Timo Kötzing haben wir darüber gesprochen, wie viel Mathe es für ein Informatikstudium braucht und warum es in der Informatik viel mehr ums Knobeln und Problemlösen geht.

Mehr Infos zum Mathe-Vorkurs

Mathe-Vorkurs für Bachelor-Erstsemester

  • Wann: 18.09.-06.10.2023, montags bis freitags jeweils von 9-13 Uhr
  • Wo: Hasso-Plattner-Institut, Hörsaal I (Campus I)
  • Keine Anmeldung erforderlich.

 

openHPI-Kurs "Vorkurs Mathematik - Grundlagen für das Informatikstudium"

  • Wann: 13.09.-10.10.2023
  • Wo: Online auf openHPI
  • Hier geht's zur Anmeldung.

Herr Dr. Kötzing, sind die mathematischen Kenntnisse von Erstsemestern zu gering, dass das HPI nach der Sommerferienzeit solch einen Vorkurs über Grundlagen für das Informatikstudium anbieten muss?

Kötzing: Bei diesem Kurs geht es vor allem um Auffrischung, insbesondere auch von Material aus der Mittelstufe. Es ist ja verständlich, wenn einige dieser Inhalte bis zum Studienbeginn etwas eingerostet sind - vielleicht auch, weil man das Studium nicht direkt nach dem Abitur aufnimmt. Wir sehen auch eine Tendenz, dass in der Schule oft "für eine Prüfung" gelernt wird und die Inhalte danach vergessen werden. Das macht es natürlich schwieriger, auf Grundlagen aufzubauen. Mit unserem Kurs wollen wir die Möglichkeit geben, dem Studium von Anfang an gut folgen zu können, ohne "nebenbei" noch Grundlagen wiederholen zu müssen.

Durch das Wiederholen und Erklären mathematischer Grundlagen wollen Sie nicht nur die Erstsemester vorbereiten, sondern generell auch Lust auf Informatik machen und Unsicherheiten in Sachen persönlicher Eignung beseitigen. Wie machen Sie das und welche Themen behandeln Sie?

Kötzing: Informatik, das stellen sich viele als stundenlanges Programmieren vor. Die tatsächliche Arbeit, insbesondere im Studium, dreht sich aber auch viel um das Problemlösen. "Was soll mein Programm erreichen, und wie?" sind die Leitfragen. Die Sprache des Problemlösens ist die Mathematik, und Probleme zu lösen ist das, woran unsere Studierenden viel Freude haben. Im Kurs soll es deshalb auch viel um das Knobeln und das Lösen kleiner Aufgaben gehen. Inhaltlich sind wir bei Themen wie Gleichungen lösen, Exponentialrechnung, Logarithmieren, Ableiten und Integrieren.

„Es wäre unverantwortlich, Selbsttests über die Studiumseignung entscheiden zu lassen“

Wäre es nicht sinnvoller, einen Eignungstest zur Voraussetzung für die Bewerbung zum Informatikstudium zu machen?

Kötzing: Die Eignung ist nur sehr schwer festzustellen; einen Test an einem einzelnen Tag über ein paar spezifische Themen über die Studiumseignung entscheiden zu lassen, wäre unverantwortlich.

Wie hoch ist durchschnittlich die Studienabbrecherquote im ersten Semester Informatik - allgemein und am HPI?

Kötzing: Allgemein ist die Abbrecherquote sehr hoch - um die 40 bis 50 Prozent -, bei uns am HPI aufgrund der Vorauswahl allerdings deutlich niedriger. Außerdem steuern wir mit vielen Maßnahmen rund um den Studieneinstieg dagegen, zum Beispiel durch ein studienbegleitendes Seminar.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die auffälligsten Defizite, die Erstsemester in Informatik von der Schule mitbringen - egal ob in Mathematik oder anderen Fächern?

Kötzing: In der Mathematik ist das auffälligste Defizit, dass ein umgangssprachlicher Satz oft nicht in eine formale Aussage überführt werden kann und umgekehrt. Sowohl Mathematik wie auch Informatik leben davon, dass in der Kommunikation um Fragen und Sachverhalte sehr präzise gearbeitet wird. Das vermisse ich leider häufiger. Insgesamt ist ein größeres Problem, dass viele Studierende nicht selbstständig arbeiten können, vielleicht auch nie ein anderes Lernen erlebt haben, als dass ihnen Stoff präsentiert wurde und sie ihn sofort problemlos verstehen sollen und alle Fragen dazu beantworten können. Solche Erfolge sind natürlich schön, lehren aber nicht, wie man sich selbstständig etwas beibringt, es nacharbeitet, sich mit den Inhalten auseinandersetzt.

„Frauen sind in der Informatik häufig eher am Ziel, Männer eher am Prozess orientiert“

Unterscheidet sich eigentlich die Haltung der zahlreichen männlichen Studienbewerber zur Informatik von denen der immer noch zu wenigen weiblichen? Beobachten Sie Unterschiede in der Motivation?

Kötzing: Aus eigener Anschauung kann ich sagen, dass Frauen häufig am Ziel interessiert sind, zum Beispiel ein funktionierendes Programm zur Lösung eines Problems zu erschaffen. Männer interessieren sich eher für den Prozess, also die langwierige Implementierung. Frauen sehen den - übrigens falschen - Archetypen des Programmierers, der im Dunklen gekrümmt vor dem Rechner sitzt, eher kritisch. Männer haben da weniger Berührungsängste.

Ist ein Leistungskurs in Mathematik oder eine mindestens gute Note im Grundkurs Voraussetzung dafür, um in einem Informatikstudium erfolgreich sein zu können?

Kötzing: Nein, die Mathematik und die Informatik ganz allgemein ist an der Universität eher anders als an der Schule. Wir brauchen ein paar Grundlagen, ja, und Präzision und schrittweise nachvollziehbare Begründungen sind sehr wichtig; aber die Grundlagen kann man schnell nachholen, und die Präzision kann man auch an anderen Stellen erlernen als einem Leistungskurs Mathematik.

Hat jemand überhaupt eine Chance, angenommen zu werden, wenn seine bzw. ihre Mathe-Note bzw. Mathe-Kenntnisse nicht so toll sind? Reicht es für ein Informatikstudium vielleicht aus, einfach nur gut im klaren, logischen Denken und Schlussfolgern zu sein?

Kötzing: An vielen Universitäten Deutschlands kann man ohne Numerus Clausus Informatik studieren; am HPI müssen alle Noten, inklusive der Mathe-Note, sehr gut sein.

Sind für das auf Digital Engineering ausgerichtete Informatikstudium am HPI spezielle Mathematik-Kenntnisse wichtig und notwendig? Und wie führen Sie an diese im Vorkurs Mathematik heran?

Kötzing: Die Vorkenntnisse sind bei uns die gleichen wie an anderen Universitäten Deutschlands. Im Vorkurs gehen wir von einem allgemeinen Mathematikwissen ohne spezielle Kenntnisse aus, stellen konkrete Themen vor und verstehen diese über das Bearbeiten verschiedener Aufgaben.

„Auch ohne in der Schule Informatik gehabt zu haben, kann man im Studium klarkommen“

Wird in einem Informatikstudium jemand auch dann klarkommen, wenn sie oder er in der Schule keine Informatik als Fach hatte?

Kötzing: Ja, definitiv! Die Lernkurve ist im ersten Semester vielleicht etwas höher, wenn man noch nie programmiert hat, aber das erste Semester hält selbst dann auch viele Herausforderungen bereit, wenn man mit Vorkenntnissen startet.

Die heutigen Studienanfängerinnen und -anfänger sind mit Smartphone und Tablet aufgewachsen. Fürs Programmieren muss man den Computer aber über die gute alte Tastatur noch mit reichlich Text füttern. Wie gut kommen die Erstsemester damit klar?

Kötzing: Wir sehen immer mehr, dass Studierende zwar "Digital Natives" sind, also ganz natürlich mit dem Internet und digitaler Kommunikation umgehen können, ihr Wissen aber gleichzeitig aber immer weiter entfernt von der Grundlage des Computers ist. Schließlich benötigt man Dateisysteme, textbasierte Interaktion und langwierige Fehlersuche als Endanwender von Tablets und Smartphones so gut wie kaum.

Sie leiten nicht nur den Mathematik-Vorkurs, sondern halten auch Präsenz-Vorlesungen in diesem Fach. Wie gehen Sie didaktisch damit um, dass es einigen immer zu schnell und anderen immer zu langsam vorangeht?

Kötzing: Der Schlüssel liegt darin, dass nur ein kleiner Teil der mit Mathematik zu verbringenden Zeit in der Vorlesung selbst liegt. Aber bei Hausaufgaben und Gruppenarbeiten kann jeder seine Zeit finden, um die Inhalte gut zu verstehen und dann weiter zu gehen.

„Meine Aufgabe ist es nicht, zu unterhalten. Aber ich wähle ein gutes Herausforderungslevel“

Wer in der Schule Freude an der Mathematik hatte, soll diese auch an der Universität haben, so Ihr Ziel. Wie genau streben Sie das an? Durch so genanntes "Edutainment"?

Kötzing: Spaß ist ein wichtiger Faktor dabei, gut und gerne zu lernen. Trotzdem ist es nicht meine Aufgabe zu unterhalten. Dafür übergebe ich dann an Netflix, die Brettspielrunde mit Freundinnen und Freunden oder weitere Möglichkeiten aus dem breiten Angebot unserer modernen Gesellschaft. Ich setze darauf, dass das Herausforderungslevel gut gewählt sein muss: Nicht unterfordern, nicht überfordern, dann stellen sich Erfolgserlebnisse ein, die sehr motivieren.

Waren Sie auf der Kieler Gesamtschule, auf der Sie 2002 ihr Abitur machten, schon gut in Mathematik?

Kötzing: Ja, die Klarheit in den Gedanken, die Unabhängigkeit von Meinungen - insbesondere den Meinungen der benotenden Lehrkräfte - hat mir schon immer gefallen. In der Mathematik hat man es immer selbst in der Hand zu entscheiden, dass eine Antwort "richtig" ist. Das finde ich sehr beruhigend.

Was hat Sie denn zur Informatik gebracht?

Kötzing: Ich bin von Natur aus sehr faul. Das Versprechen der Informatik ist, dass man etwas nur einmal sehr gut erklären muss, danach macht es der Computer beliebig häufig. Die Faulheit hat mich also zur Informatik gebracht. Danach war ich fasziniert davon, wie viel erbarmungslose Präzision im Computer steckt: Man darf wirklich keinen Fehler in der Erklärung haben. Aber dadurch, dass der Computer sich an Regeln hält, wir das Ganze kontrollierbar und damit wieder sehr greifbar.

„Spaß am Spiel mit dem Problemlösen, Ringen und Verbeißen ist erfolgsentscheidend“

An welchen kniffligen Informatik-Fragestellungen forschen Sie jetzt am HPI am liebsten?

Kötzing: Ich beschäftige mich sehr viel mit Zufall. Wenn ein Programm zufällige Entscheidungen trifft, einige davon sich vom Ziel entfernen, aber viel mehr sich dem Ziel annähern, dann könnte man ja sagen, dass es im Schnitt in die richtige Richtung geht. Das formal sauber zu machen, fasziniert mich.

Bitte geben Sie zum Schluss noch einen persönlichen Rat für alle diejenigen, die vielleicht doch noch unsicher sind, ob sie ein Informatikstudium aufnehmen sollten.

Kötzing: Studieren bedeutet insbesondere Spaß am Spiel mit der Materie des Studiengangs, bei der Informatik also dem Problemlösen und dem Computer. Man verbringt am Ende sehr viel Zeit damit, sich in vertrackte Fragestellungen zu verbeißen, vor dem Computer zu sitzen und mit ihm zu ringen - wenn ein Programm mal wieder viel zu wörtlich genommen wird. Wer Spaß an diesem Spiel, dem Ringen und Verbeißen hat, mit Themen rund um Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe von Algorithmen, der wird erfolgreich in einem Informatikstudium sein.

Die Fragen stellte Hans-Joachim Allgaier