„Frauen sind in der Informatik häufig eher am Ziel, Männer eher am Prozess orientiert“
Unterscheidet sich eigentlich die Haltung der zahlreichen männlichen Studienbewerber zur Informatik von denen der immer noch zu wenigen weiblichen? Beobachten Sie Unterschiede in der Motivation?
Kötzing: Aus eigener Anschauung kann ich sagen, dass Frauen häufig am Ziel interessiert sind, zum Beispiel ein funktionierendes Programm zur Lösung eines Problems zu erschaffen. Männer interessieren sich eher für den Prozess, also die langwierige Implementierung. Frauen sehen den - übrigens falschen - Archetypen des Programmierers, der im Dunklen gekrümmt vor dem Rechner sitzt, eher kritisch. Männer haben da weniger Berührungsängste.
Ist ein Leistungskurs in Mathematik oder eine mindestens gute Note im Grundkurs Voraussetzung dafür, um in einem Informatikstudium erfolgreich sein zu können?
Kötzing: Nein, die Mathematik und die Informatik ganz allgemein ist an der Universität eher anders als an der Schule. Wir brauchen ein paar Grundlagen, ja, und Präzision und schrittweise nachvollziehbare Begründungen sind sehr wichtig; aber die Grundlagen kann man schnell nachholen, und die Präzision kann man auch an anderen Stellen erlernen als einem Leistungskurs Mathematik.
Hat jemand überhaupt eine Chance, angenommen zu werden, wenn seine bzw. ihre Mathe-Note bzw. Mathe-Kenntnisse nicht so toll sind? Reicht es für ein Informatikstudium vielleicht aus, einfach nur gut im klaren, logischen Denken und Schlussfolgern zu sein?
Kötzing: An vielen Universitäten Deutschlands kann man ohne Numerus Clausus Informatik studieren; am HPI müssen alle Noten, inklusive der Mathe-Note, sehr gut sein.
Sind für das auf Digital Engineering ausgerichtete Informatikstudium am HPI spezielle Mathematik-Kenntnisse wichtig und notwendig? Und wie führen Sie an diese im Vorkurs Mathematik heran?
Kötzing: Die Vorkenntnisse sind bei uns die gleichen wie an anderen Universitäten Deutschlands. Im Vorkurs gehen wir von einem allgemeinen Mathematikwissen ohne spezielle Kenntnisse aus, stellen konkrete Themen vor und verstehen diese über das Bearbeiten verschiedener Aufgaben.
„Auch ohne in der Schule Informatik gehabt zu haben, kann man im Studium klarkommen“
Wird in einem Informatikstudium jemand auch dann klarkommen, wenn sie oder er in der Schule keine Informatik als Fach hatte?
Kötzing: Ja, definitiv! Die Lernkurve ist im ersten Semester vielleicht etwas höher, wenn man noch nie programmiert hat, aber das erste Semester hält selbst dann auch viele Herausforderungen bereit, wenn man mit Vorkenntnissen startet.
Die heutigen Studienanfängerinnen und -anfänger sind mit Smartphone und Tablet aufgewachsen. Fürs Programmieren muss man den Computer aber über die gute alte Tastatur noch mit reichlich Text füttern. Wie gut kommen die Erstsemester damit klar?
Kötzing: Wir sehen immer mehr, dass Studierende zwar "Digital Natives" sind, also ganz natürlich mit dem Internet und digitaler Kommunikation umgehen können, ihr Wissen aber gleichzeitig aber immer weiter entfernt von der Grundlage des Computers ist. Schließlich benötigt man Dateisysteme, textbasierte Interaktion und langwierige Fehlersuche als Endanwender von Tablets und Smartphones so gut wie kaum.
Sie leiten nicht nur den Mathematik-Vorkurs, sondern halten auch Präsenz-Vorlesungen in diesem Fach. Wie gehen Sie didaktisch damit um, dass es einigen immer zu schnell und anderen immer zu langsam vorangeht?
Kötzing: Der Schlüssel liegt darin, dass nur ein kleiner Teil der mit Mathematik zu verbringenden Zeit in der Vorlesung selbst liegt. Aber bei Hausaufgaben und Gruppenarbeiten kann jeder seine Zeit finden, um die Inhalte gut zu verstehen und dann weiter zu gehen.
„Meine Aufgabe ist es nicht, zu unterhalten. Aber ich wähle ein gutes Herausforderungslevel“
Wer in der Schule Freude an der Mathematik hatte, soll diese auch an der Universität haben, so Ihr Ziel. Wie genau streben Sie das an? Durch so genanntes "Edutainment"?
Kötzing: Spaß ist ein wichtiger Faktor dabei, gut und gerne zu lernen. Trotzdem ist es nicht meine Aufgabe zu unterhalten. Dafür übergebe ich dann an Netflix, die Brettspielrunde mit Freundinnen und Freunden oder weitere Möglichkeiten aus dem breiten Angebot unserer modernen Gesellschaft. Ich setze darauf, dass das Herausforderungslevel gut gewählt sein muss: Nicht unterfordern, nicht überfordern, dann stellen sich Erfolgserlebnisse ein, die sehr motivieren.
Waren Sie auf der Kieler Gesamtschule, auf der Sie 2002 ihr Abitur machten, schon gut in Mathematik?
Kötzing: Ja, die Klarheit in den Gedanken, die Unabhängigkeit von Meinungen - insbesondere den Meinungen der benotenden Lehrkräfte - hat mir schon immer gefallen. In der Mathematik hat man es immer selbst in der Hand zu entscheiden, dass eine Antwort "richtig" ist. Das finde ich sehr beruhigend.
Was hat Sie denn zur Informatik gebracht?
Kötzing: Ich bin von Natur aus sehr faul. Das Versprechen der Informatik ist, dass man etwas nur einmal sehr gut erklären muss, danach macht es der Computer beliebig häufig. Die Faulheit hat mich also zur Informatik gebracht. Danach war ich fasziniert davon, wie viel erbarmungslose Präzision im Computer steckt: Man darf wirklich keinen Fehler in der Erklärung haben. Aber dadurch, dass der Computer sich an Regeln hält, wir das Ganze kontrollierbar und damit wieder sehr greifbar.
„Spaß am Spiel mit dem Problemlösen, Ringen und Verbeißen ist erfolgsentscheidend“
An welchen kniffligen Informatik-Fragestellungen forschen Sie jetzt am HPI am liebsten?
Kötzing: Ich beschäftige mich sehr viel mit Zufall. Wenn ein Programm zufällige Entscheidungen trifft, einige davon sich vom Ziel entfernen, aber viel mehr sich dem Ziel annähern, dann könnte man ja sagen, dass es im Schnitt in die richtige Richtung geht. Das formal sauber zu machen, fasziniert mich.
Bitte geben Sie zum Schluss noch einen persönlichen Rat für alle diejenigen, die vielleicht doch noch unsicher sind, ob sie ein Informatikstudium aufnehmen sollten.
Kötzing: Studieren bedeutet insbesondere Spaß am Spiel mit der Materie des Studiengangs, bei der Informatik also dem Problemlösen und dem Computer. Man verbringt am Ende sehr viel Zeit damit, sich in vertrackte Fragestellungen zu verbeißen, vor dem Computer zu sitzen und mit ihm zu ringen - wenn ein Programm mal wieder viel zu wörtlich genommen wird. Wer Spaß an diesem Spiel, dem Ringen und Verbeißen hat, mit Themen rund um Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe von Algorithmen, der wird erfolgreich in einem Informatikstudium sein.
Die Fragen stellte Hans-Joachim Allgaier